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Für den Soziologen Herbert Marcuse war klar, dass Konsumieren zu einem absoluten Grundbedürfnis geworden ist.
Deshalb frage ich mich, wie es mir ginge, wenn ich einfach einmal auf alle Formen von Konsum verzichten müsste. Alle Geschäfte zu. Kein Internet. Keine Filme, keine Bücher. Keine Computerspiele. Wie würde es mir da gehen?
Oft haben wir den Wunschtraum von einer “Einsamen Insel”, auf die wir uns zurückziehen wollen. Ich Glaube, ich würde mir sehr schnell mein W-LAN und den Supermarkt auf der anderen Straßenseite zurückwünschen. Doch abgesehen von den Annehmlichkeiten des modernen Lebens – kann ich mir ein glückliches Leben vorstellen, in denen der Konsum keine Rolle spielt? Wäre ich auf der Insel glücklich, wenn ich nur meine liebsten Menschen mitnehmen könnte?
Jeder von uns kennt das Gefühl, dass wir uns irgendwie in den Augen anderer Menschen definieren möchten. Wir möchten uns nach Außen darstellen, und wir möchten auch selbst wissen, WER wir sind. Doch wie wir uns diese Identität suchen, ist eine interessante Frage.
Ich kann mich an viele Situationen erinnern, in denen ich bestimmte Produkte gekauft habe, weil die Werbung mir dazu ein bestimmtes Gefühl dazu vermittelt hat. Eine bestimmte Art, wie ich sein will.
“Wenn ich nur das Geld hätte, könnte ich so viel Gutes in der Welt bewirken”, habe ich mir schon so oft gedacht. Manchmal lasse ich mich auch zum Kauf von bestimmten Produkten bewegen, weil ich dadurch irgendwie jemandem helfen kann. Brunnenbau im Südsudan, oder so. Oder ich spende einfach Geld an eine Wohltätigkeitsorganisation. Auch so eine Art Kauftransaktion, wenn man es mal ganz zynisch betrachtet: Ich kaufe mir durch mein Geld das Gefühl, geholfen zu haben.
Ich gebe zu, ich finde es gar nicht so einfach, mir andere Möglichkeiten auszudenken, wie ich wirklich die Welt zum Positiven verändern kann.
Wie oft bin ich schon in den Outdoor-Ausrüstungs-Shop gegangen, um mir das neuste Survival-Equipment anzusehen. In meiner Fantasie verwandle ich mich dort immer in einen Überlebenskünstler, der durch diese ausgeklügelte Technik in der wildesten Wildnis überlebt.
Oder ich gehe ins Sportgeschäft, weil mich die Fitness-Stimmung gepackt hat, und kaufe mir erstmal neue Laufschuhe (weil ich ja unmöglich mit meinen alten Schuhen laufen gehen kann!). Das neue Abo im Fitnessstudio gehört in die gleiche Kategorie. Selbstbräunungscreme, Selbsthilfebücher, Make-Up. Ein Besuch beim Friseur. Ein Wellness-Tag im Spa, gegen meine Altersfalten. Der neue, dynamische Energy-Drink. Ein Personal Trainer.
Zu jeder neuen Lifestyle-Veränderung gehört irgendwie ein Kauf dazu.
Für den deutschen Philosophen Byung-Chul Han ist klar, dass wir uns zunehmend als menschliche “Projekte” betrachten, die sich immerzu selbst neu erfinden. Das klingt zunächst nach Freiheit, aber es bringt auch seine ganz eigenen Schwierigkeiten mit sich: wie müssen Leistung bringen und uns auch immer weiter verbessern.
Der Einzelne wird zum Unternehmer seiner Selbst, der nicht Freundschaften aufbaut, sondern stattdessen Zweckbeziehungen zu anderen knüpft. Wer dabei versagt, gibt sich selbst die Schuld. Wenn wir merken, dass wir noch immer die gleiche, fehlerhafte Person sind, die wieder die gleichen Fehler macht, schämen wir uns. Und durchsuchen unsere Umwelt weiter nach Dingen, mit denen wir uns identifizieren können oder die uns Bestätigung geben können. Kann ich irgendwie aus diesem Kreislauf aussteigen?
Wann habe ich mich zum letzten Mal einfach nur glücklich und zufrieden gefühlt, ohne direkt wieder auf neue Ziele und Wünsche zu schielen? Die Werbung ist gut darin, immer neue Wünsche in uns zu wecken. Deshalb ist die Freude über einen neuen Einkauf auch so kurzlebig und wird schnell durch neues Verlangen ersetzt.
Bin ich noch fähig, bewusst das Hier und Jetzt zu genießen, ohne ruhelos zu werden? Mir fällt das sehr schwer, aber ich wünsche es mir.
Es ist uns nichts Neues, dass die Werbung und das Marketing unsere Emotionen ansteuern. Trotzdem sehen die meisten von uns sich als rationale Menschen, die vernünftige Entscheidungen treffen.
Aber wie oft lasse ich mich beim Einkaufen oder sonstigem Konsumieren einfach nur von meinen Emotionen treiben? Wie viele meiner Kaufentscheidungen haben wirklich rationale Gründe?
Bei “simulierte Welt” denke ich zuerst an Computerspiele… Aber das Einkaufszentrum mit seinen vielen kleinen Boutiquen, Geschäften und Kunstpalmen hat auch etwas von Simulation.
Las Vegas ist das Paradebeispiel einer simulierten Welt: Dort gibt es Pyramiden, den Eifelturm, Märchen aus 1001 Nacht. Glitzerpaläste und Gondeln wie in Venedig, und das alles mitten in der Wüste.
Hier kann man das schöne Gefühl genießen, in einem Café in Paris zu sitzen, ohne den Lärm, den Gestank und die Kälte der winterlichen Großstadt. Man kann eine Gondelfahrt durch Venedig machen, ohne das Hotel zu verlassen.
Mein Facebook- oder Instagram-Feed ist auch so eine Art Scheinwelt, in der ich sehr viel Zeit verbringen kann.
Diese simulierten Umgebungen haben eines gemeinsam: Oft sind sie genau so konzipiert, dass sie uns zum Konsumieren einladen. Und sie sind ziemlich bequem. Oft viel bequemer als die Realität.
Es gibt eine Welt, in der alle unsere Bedürfnisse endlich einfach erfüllt sind. Und uns wird immer wieder gezeigt, dass wir diese Welt erreichen können. Wenn wir kaufen.
Für den Theologen James K. A. Smith bezeichnet den Konsum sogar als eine Art Ersatzreligion. Ein eigenes Evangelium, dessen Kraft in der Schönheit liegt. Die glitzernde, perfekte Welt, die uns der nächste Kauf verspricht. Diese Welt ist uns aber immer einen Schritt voraus, weil wir sie gar nicht erreichen sollen – sonst hätten wir ja keinen Grund, noch etwas zu kaufen.
Wir sind alle irgendwie “kaputt”. Und überall um uns herum sind Angebote, die uns wieder “ganz” machen wollen.
Gleichzeitig ist uns immer bewusst, dass es einfach nicht genug für alle gibt. Dass wir schneller und besser sein müssen als andere, um auf unsere Kosten zu kommen. Castingshows versinnbildlichen dieses Prinzip. In dieser Vorstellung teilt sich die Welt in Menschen auf, die Leistung bringen und die, die nur Ressourcen verschlingen.
Wer viel Geld hat, wird oft selbstverständlich als “Leistungsträger” wahrgenommen. Deshalb schämen wir uns oft, wenn wir als als “arm” wahrgenommen werden.
Durch die vielen Idealbilder, die uns die Werbung präsentiert, werden wir immer wieder daran erinnert, dass wir (noch) nicht gut genug sind und dass wir uns in einem Wettbewerb befinden.
Wenn wir etwas erwerben, löst das eine ähnliche Art von Belohnungsgefühl aus, wie unsere Vorfahren es zum Beispiel beim Jagen hatten. Glückshormone werden freigesetzt.
Ich kenne es von mir selbst und habe es auch schon von einigen meiner Freunde gehört: Shoppen kann trösten, wenn wir traurig sind. Ein neues Paar Schuhe oder ein neues Smartphone geben uns ein kleines Hochgefühl.
Das Einkaufszentrum ist sozusagen eine permanente Einladung, am “guten Leben” teilzuhaben. Dabei geht es überhaupt nicht mehr um richtig oder falsch.
Wenn ich an meine eigenen Träume denke, wird mir bewusst, wie sehr diese mit Dingen verknüpft sind, die ich mir gerne kaufen würde. Die Traumreise, die ich gerne buchen würde.
Das wunderschöne Haus in bester Lage. Mich würde interessieren, was es für Ziele und Träume gibt, die ich mir setzen kann, die es einfach nicht zu kaufen gibt? Habt ihr Ideen?