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Kardinal Bechara Boutros Rai, Patriarch der Maronitischen Kirche, verliert zunehmend die Geduld mit der libanesischen Politik. In seiner Predigt beim Sonntagsgottesdienst im Patriarchat in Bkerke warnte Rai vor dem endgültigen Zusammenbruch des Libanon. Das Ausmaß der institutionellen, sozialen und politischen Krise im Land erfordere drastische und zeitnahe Maßnahmen und die Einberufung einer von den Vereinten Nationen auf den Weg gebrachten internationalen Konferenz. In seiner Predigt verurteilt der maronitische Patriarch zudem einmal mehr und nun mit sehr harschen Worten Parteien und Politiker des Libanon, wie der vatikanische Pressedienst Fides (Montag) berichtete. Die Stimme des Maroniten-Oberhaupts hat im Libanon großes politisches Gewicht.

Rai warf den Herrschenden Untätigkeit und Verantwortungslosigkeit vor, sie würden nur individuelle und parteipolitische Interessen verfolgen, während die Menschen unter Hunger leiden und als "zu schlachtende Schafe" behandelt würden. Seit Monaten, so der Patriarch, sei es nicht einmal möglich gewesen, eine neue Regierung zu bilden. Das Maß ist für Rai nun voll. Jetzt zu schweigen bedeute, sich zum Komplizen krimineller Entscheidungen zu machen, sagte er.

Die Regierungen vieler Länder der Welt hätten sich an die Seite der Menschen im Libanon gestellt, und würden in der Krise helfen. Nur die eigenen politisch Verantwortlichen würden nichts tun. "Gibt es ein größeres Verbrechen als dieses?", so der Kardinal wörtlich.

Rai erinnerte in seiner Predigt auch an die jüngste Ermordung des Journalisten Luqman Selim, der für seine Kritik an der schiitischen Partei der Hisbollah bekannt war, und im Südlibanon unter noch nicht klaren Umständen getötet wurde. Er war vor wenigen Tagen in seinem Auto mit einer Schussverletzung am Kopf in der Stadt Nabatija entdeckt worden. Die Stadt wird weitgehend von der Hisbollah kontrolliert. Der Kardinal bezeichnete ihn als eine der "besten Figuren" des Landes und forderte sorgfältige Ermittlungen, um die Verantwortlichen für den Mord an Selim zu identifizieren, den er als "politisches Verbrechen" betrachtet.

Die letzte amtierende libanesische Regierung unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Hassan Diab war nach den Protesten in Zusammenhang mit der verheerenden Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut im August zurückgetreten, blieb aber weiter kommissarisch im Amt. Seither ist es nicht gelungen, eine neue Regierung zu bilden.