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Welche Bedeutung kommt dem interreligiösen Dialog heute zu? Dient er vorrangig dem interreligiösen Verständnis und Austausch oder hat er eine darüber hinausgehende politische Dimension? Diesen Fragen gingen die Teilnehmer einer Online-Podiumsdiskussion am Dienstagabend in Wien nach. Trotz mancher Auffassungsunterschiede im Detail zeigten sich die Vertreter der Religionsgemeinschaften sowie des Kultusamtes überzeugt, dass der Dialog alternativlos sei und in seiner praktisch-politischen Ausrichtung der Förderung einer humanen Gesellschaft dient. Insofern sei der interreligiöse Dialog häufig auch ein interkultureller Dialog bzw. arbeite sich an konkreten kulturellen oder gesellschaftlichen Konfliktlinien ab.

Die Diskussion, die unter dem Titel "Interreligiöser Dialog im (religions)politischen Kontext" stand, bildete auch den Abschluss der Ringvorlesung "Judentum - Christentum - Islam. Inter- und transdisziplinäre Perspektiven auf den interreligiösen Dialog der abrahamitischen Religionen". Die Ringvorlesung dauerte das gesamte Wintersemester lang und war ein Kooperationsprojekt der Katholisch-Theologischen Fakultät, der Evangelisch-Theologischen Fakultät, des Instituts für Judaistik und des Instituts für Islamisch-Theologische Studien sowie des Forschungszentrums "Religion and Transformation in Contemporary Society" und der Kardinal-König-Stiftung.

Scheuer: Positive Trennung von Staat und Kirche

Der Staat bleibe in seiner religiösen Neutralität auf die Religionen angewiesen, da er selber etwa nicht substanziell auf die Frage des "guten Lebens" oder andere ethische Fragen antworten könne, betonte der Linzer Bischof Manfred Scheuer im Rahmen der Diskussion. So richtig und wichtig angesichts der "verhängnisvollen Geschichte der Verbindung von Thron und Altar" die Trennung von Staat und Kirche sei, und so wichtig es für die katholische Kirche sei, die plurale Gesellschaft in ihrer vollen Autonomie anzuerkennen, so wichtig sei es zugleich, dass Christen ihre Aufgabe zur Weltgestaltung wahrnehmen und sich aktiv in Politik und Gesellschaft einbringen, so Scheuer.

Chancen für den interreligiösen Dialog machte der Linzer Bischof vor allem angesichts des von ihm attestierten "Verlustes gesellschaftlicher Bindekräfte" und den "modernen Ersatzreligionen" - Arbeit, Markt, Kapital - aus: "Müsste angesichts dessen der interreligiöse Dialog in der Öffentlichkeit nicht stärker seine religiöse Ausrichtung verdeutlichen, um auf die Transzendenzvergessenheit der Gesellschaft zu antworten?", stellte Scheuer in den Raum. Eine "humane Gesellschaft" brauche schließlich eine "Fundierung auch in religiösen Traditionen".

Auf die interkulturelle Dimension des Dialogs zwischen den Religionen verwies die evangelische Pfarrerin und theologische Referentin von Bischof Michael Chalupka, Eva Harasta. Sie vertrat Bischof Chalupka, der verhindert war, und plädierte für eine größere interreligiöse Solidarität unter den Dialogpartnern: Aus Sicht einer Minderheitenkirche in Österreich wäre es wichtig, wenn die katholische Kirche als Mehrheitskirche in politisch-praktischen Fragen auch die Position der kleineren Partner vertreten würde. Dies geschehe zwar immer wieder, aber in der Frage etwa der Karfreitagsregelung vermisste sie diese Solidarität, so Harasta.

Hofmeister: Mehr Sensibilität für Minderheiten

Auf höhere Sensibilität unter den Partnern im interreligiösen Dialog pochte auch der Rabbiner Schlomo Hofmeister. Das Judentum verfolge den interreligiösen Dialog nicht aus religiösem Interesse - da seien die Gemeinsamkeiten und das Trennende hinlänglich bekannt und theologisch ausgeleuchtet -, vielmehr sehe das Judentum den Dialog als Ort konkreter Konfliktlösungen. Dort vermisse er jedeich teilweise das Gespür gerade der Mehrheiten - seien es Christen oder auch säkulare Kräfte in der Gesellschaft - für die Befindlichkeiten und unterschiedlichen Auffassungen in den Minderheiten.

Das fange mit der christlich-säkularen Besetzung der Bioethikkommission an, reiche über Sterbeanzeigen, denen immer ein Kreuz hinzugefügt werde, bis hin zu Glückwunschkarten zu Weihnachten oder Neujahr, die er als Jude selbst von staatlichen Stellen erhalte. So vorbildlich untereinander der Dialog auf persönlicher Ebene funktioniere, so sehr vermisse er manchmal die Sensibilität in Details, so Hofmeister.

IGGÖ: Dialog nicht auf Integrationsfragen verkürzen

Seitens der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) bekräftigte auch Präsident Ümit Vural die Bedeutung des interreligiösen Dialogs "für den Aufbau einer guten und friedlichen Gesellschaft". Ein solcher Dialog könne dazu beitragen, "Vorurteile zu revidieren", den anderen besser kennenzulernen und auch dessen Werte und Traditionen besser zu verstehen. Bedingung sei dazu aber, dass sich die Partner "auf Augenhöhe" begegneten und "den Anderen in seiner Würde und Wahrheit akzeptieren". Genau dies aber vermisse er im Blick auf den Islam: er nehme vielmehr wahr, dass der interreligiöse Dialog vielfach auf einen interkulturellen Dialog verkürzt werde, in dem es letztlich vor allem um Fragen der Integration gehe.

Der Leiter des Kultusamtes, Florian Welzig, betonte den hohen Stellenwert, den der Staat einem funktionierenden interreligiösen Dialog beimesse. Ein solcher Dialog, wie er vorbildlich in Österreich gepflegt werde, sei "keine Selbstverständlichkeit und keine Einbahnstraße" und müsse auch "immer wieder neu erarbeitet" werden. Gerade in der aktuellen Corona-Krise habe sich dieser Dialog bewährt, führte Welzig aus, der zugleich dafür plädierte, "die Rede vom Dialog etwas aufzurauen": Denn Dialog meint "keinen netten Kaffeeplausch, sondern ein gemeinsames Beitragen zu dem einen großen, verbindenden Auftrag" - nämlich die humane Gestaltung der Gesellschaft.