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Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt.
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Zahlreiche Kirchen und Lebensrechtsorganisationen üben teils scharfe Kritik an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland, das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe zu kippen. Der Paragraf 217 des Strafgesetzbuches stellte eine auf Gewinn und Wiederholung angelegte Suizidbeihilfe unter Strafe. Eine Assistenz bei der Selbsttötung durch Angehörige oder Ärzte blieb weiterhin erlaubt, sofern das vorsätzliche Ziel einer Wiederholung nicht vorliegt.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht erklärte am 26. Februar 2020, dass der vor fünf Jahren durch das Parlament eingeführte Paragraf 217 des Strafgesetzbuches verfassungswidrig sei und aus Sicht der Verfassungsrichter gegen das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben verstoße. Geklagt hatten unter anderen Ärzte, welche regelmäßig bei der Selbsttötung schwerkranker Patienten unterstützen wollen.

Die heutige Entscheidung wiederspricht zugleich jedoch einem Urteil aus dem Jahr 2002 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in welchem festgehalten wurde, die „Europäische Menschenrechtskonvention garantiere kein Recht auf aktive Sterbehilfe. Das Recht auf Leben (…) verbiete es einem Staat, (…) jemanden vorsätzlich zu töten. Auch lasse sich aus dem Recht auf Leben weder ein diametral entgegengesetztes Recht auf Sterben ableiten, noch ein Recht auf Selbstbestimmung in dem Sinn, dass jedem Individuum das Anrecht gibt, eher den Tod als das Leben zu wählen.“

Kritik der deutschen Großkirchen

Die Katholische und Evangelische Kirche in Deutschland haben das verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe scharf kritisiert: "Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar", so die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Beide Kirchen wollten sich auch künftig dafür einsetzen, damit "organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden".

"Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen", so der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und der Bischofskonferenzvorsitzende Kardinal Reinhard Marx in einer gemeinsamen Stellungnahme. "Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung nämlich werden, desto größer ist die Gefahr, dass sich Menschen in einer extrem belastenden Lebenssituation innerlich oder äußerlich unter Druck gesetzt sehen, von einer derartigen Option Gebrauch zu machen und ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten."

Weiters schreiben Sie: "Die Würde und der Wert eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen. Sie sind Ausdruck davon, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und ihn bejaht und dass der Mensch sein Leben vor Gott verantwortet."

Es gibt ein Recht auf Leben, aber kein Recht auf Töten

Die „Aktion Lebensrecht für Alle“ schreibt in einer Presseaussendung: „Genauso wenig, wie der Mensch sich selbst ins Leben rufen kann, sollte eine Gesellschaft die Voraussetzungen dafür schaffen, dass er sich dieses Leben selbst jederzeit nehmen kann. Besonders erschreckend ist, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Recht auf Selbsttötung auf alle Lebensphasen und -situationen angewendet sehen will. Das bedeutet: Jeder hat das Recht auf Selbsttötung, unabhängig von Alter und Krankheit.“

Der assistierte Suizid wird dabei gepriesen als humaner, selbstbestimmter Ausstieg aus einer Situation, die als bedrohlich empfunden wird. Wie wenig selbstbestimmt der sogenannte assistierte Suizid tatsächlich ist, zeigen die Erfahrungen aus anderen Ländern: In den Niederlanden hat die zunehmende Tötung demenzkranker, also nicht selbstbestimmt handelnder Patienten bereits zum Rücktritt eines Mitglieds einer Euthanasiekommission geführt. Eine dieser Patientinnen musste von der Familie festgehalten werden, damit der Arzt das Tötungsmittel verabreichen konnte. Auch aus Kanada berichten Ärzte, dass Patienten sich dem Druck der Familie beugen und um Tötung bitten.

„Eine humane Gesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass sie ihre Fürsorgepflicht für jeden Einzelnen ernst nimmt und ihr nachkommt. Es gibt ein Recht auf Leben, und es gibt ein Recht darauf, in Ruhe sterben zu dürfen, aber es gibt kein Recht auf Töten“, so die Bundesvorsitzende der ALfA, Cornelia Kaminski. „Unsere Aufgabe muss es sein, Leiden so zu lindern, dass es nicht als unerträglich angesehen wird. Dazu gehört ein Ausbau und eine stetige Verbesserung der Palliativversorgung – sowohl in medizinischer als auch in pflegerischer Hinsicht.“

Besonders schwerwiegend sei es, dass von Ärzten verlangt werde, den Wünschen nach Versorgung mit Tötungsmitteln nachzukommen. „Es ist ärztliche Aufgabe, zu heilen und Leben zu retten, nicht, es vorzeitig zu beenden – auch wenn das im Einzelfall dem Willen des Patienten entspricht.“

Kritik auch aus Österreich

Die Österreichische Nationalrätin Gudrun Kugler (ÖVP) kommentierte in ihrem Blog: „Das am Aschermittwoch veröffentlichte Urteil des Deutschen Verfassungsgerichts, in dem das Verbot ‚geschäftsmäßiger Beihilfe zum Suizid‘ aufgehoben wurde, ist ein Schritt in die falsche Richtung: Leben helfen statt sterben helfen, muss unsere Maxime sein!“ Weiters schreibt Kugler: „Für Österreich ist dieses Urteil aber Gott sei Dank aufgrund einer wesentlich unterschiedlichen Rechtslage kein Vorbild. Das deutsche Urteil zeigt Schwachstellen der deutschen Gesetzeslage auf und suggeriert, dass man mit der Beihilfe zum Selbstmord Geld verdienen dürfe.“

Jan Ledóchowski, Präsident der Plattform Christdemokratie (ÖVP) schreibt in einem Kommentar zur Sterbehilfe: „Angesichts der Tatsache, dass praktisch alle Suizide Hilferufe sind, muss man sich die Frage stellen, ob sich hinter der Unterstützung der Euthanasie nicht in Wirklichkeit Gefühlskälte und Verantwortungslosigkeit unter dem Deckmantel der Toleranz und Liberalität verstecken. Wahres Mitgefühl und wahre Solidarität tolerieren niemals, dass Menschen in ihrem Elend und ihrer Verzweiflung nur mehr im Tod eine Befreiung sehen, sondern helfen, die Gründe für das Leiden zu beseitigen oder diese gemeinsam zu ertragen.“

Die Wiener Ethik-Expertin Susanne Kummer bezeichnete die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts als schweren Rückschritt: "Der Rechtsstaat gibt den Schutz des Schwächeren zugunsten des Stärkeren auf", so Kummer im Gespräch mit dem Portal "Kathpress". Weiters hielt Kummer fest: "Wenn wir als Gesellschaft menschenwürdig, solidarisch und mit Respekt vor einer richtig verstandenen Autonomie leben wollen, dann muss der Schutz vor einer Beihilfe zur Selbsttötung Fundament der Rechtsordnung bleiben." In einem Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" verweist Kummer auf den lukrativen Tötungsmarkt: "Das Geschäft mit der Tötung läuft jedenfalls einträglich: Laut Schweizer Medienberichten kommen die Sterbehilfe-Vereine Exit, Eternal Spirit und Dignitas zusammen mittlerweile auf einen Jahresumsatz von zehn Millionen Schweizer Franken."

Der Katholische Familienverband Österreich (KFÖ) warnte vor einem vergleichbaren Weg in Österreich: "Gehen wir den guten österreichischen Weg weiter, den wir bei der Sterbehilfe haben. Schmerztherapien sind möglich, ohne dass Mediziner sich vor Straffälligkeit fürchten müssen. Eine Erlaubnis zum assistierten Suizid würde massiven Druck auf ältere und pflegebedürftige Menschen ausüben", so KFÖ-Präsident Alfred Trendl.