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Die umstrittene 60-seitige Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du!“ der Amadeu Antonio Stiftung.
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Eine Handreichung für Erzieher in Kindertagesstätten stößt auf Kritik. Die 60-seitige Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du!“ soll sie dabei unterstützen, rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen im frühkindlichen Bildungsbereich entgegenzuwirken. Herausgeber der vom Bundesfamilienministerium geförderten Publikation ist die Amadeu Antonio Stiftung. Sie gibt darin unter anderem Hinweise, wie Erzieher mit Kindern aus rechtsgerichteten Familien umgehen könnten. Zeichne ein Kind Hakenkreuze oder Runen, solle „nachgefragt werden, woher das betreffende Kind diese kennt und was es damit verbindet“. Weiterhin wird geraten, den Vorfall gegenüber den betroffenen Eltern sowie auf einer Elternversammlung zu thematisieren. In einer Fallstudie geht es auch darum, Kinder zu erkennen, die aus „rechtsextremen völkischen“ Haushalten stammen. Hier seien unter anderem „traditionelle Geschlechterrollen in den Erziehungsstilen erkennbar: Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe, es wird zu Hause zu Haus- und Handarbeiten angeleitet, der Junge wird stark körperlich gefordert und gedrillt.“

Sächsischer Kultusminister warnt vor einem Einsatz

Scharfe Kritik äußerte die Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Nadine Schön: „Wenn Erzieherinnen und Erzieher zu Überwachern und zum Korrektiv der elterlichen Gesinnung werden sollen, überschreitet das Grenzen.“ Zudem falle eine „einseitige Fixierung auf rechtsextremistische oder rechtsradikale Elternhäuser“ unangenehm auf: „Dass Gefahren auch von linksextremistischen Eltern ausgehen können, kommt den Verfassern gar nicht in den Sinn.“ Insgesamt sei das Heft quasi eine „staatliche Handlungsanweisung zur Elternspionage und Elternerziehung für Erzieherinnen“ und passe nicht zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands: „Bitte sofort einstampfen!“ Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) warnte gegenüber „Bild“ davor, die Broschüre an Kitas einzusetzen. Es sei inakzeptabel, vom Äußeren der Kinder auf politische Einstellungen der Eltern zu schließen.

Theologe: Hart an den Grenzen des Grundgesetzes

Der Theologe und Sprachwissenschaftler Prof. Roland Werner (Marburg) schrieb auf Facebook, dass er zwar die Kritik der Autoren an Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ausdrücklich teile, hier aber der Eindruck aufkomme, dass „eine neue Stigmatisierung und Ausgrenzung vorangetrieben werden soll“. So empfinde er „auch die Darstellung von Christen in dieser Broschüre pauschalisierend und verunglimpfend“. Die Autoren äußern sich an drei Stellen kritisch über „christlich-fundamentalistische Akteure“. Insgesamt komme die Handreichung „hart an die Grenzen dessen, was Demokratie bedeutet, und an die Grenzen des Grundgesetzes“. Ähnlich äußerte sich die katholische Publizistin Birgit Kelle. „Hier wird von langer Hand ein Problem inszeniert, Steuergeld verschwendet und das Misstrauen in Kitas gesät“, schrieb sie im Internetmagazin „Christliches Forum“. In „perfider Weise“ werde zudem „Rechtsextremismus mit der Ablehnung von ‚Sexualpädagogik der Vielfalt’ gleichgesetzt“ und so vermittelt: „Eltern, die Diversity Programme und Sexualkundeprojekte für Kinder zwischen drei und sechs Jahren ablehnen, seien eben rechtsextrem, rassistisch und nicht etwa vernünftig.“

Journalist: Methoden erinnern an Bespitzelung in der DDR und NS-Zeit

Laut dem Journalisten Gunnar Schupelius ist es nicht Aufgabe des Staates oder von Kindergärten, „die Lebensweise der Eltern zu prüfen und zu korrigieren“, wie er in der Tageszeitung B.Z. (Berlin) schreibt. Dem Staat zuzugestehen, sich in dieser Weise Zugriff zur Privatsphäre von Familien zu verschaffen, sei eine Grenzüberschreitung. „Dann kann sehr schnell wieder geschehen, was in den deutschen Diktaturen geschah: In der DDR und im NS-Staat wurden Kinder einer Gesinnungskontrolle unterzogen und sogar als Spitzel gegen ihre Eltern eingesetzt.“ Erziehern jedoch vorzugeben, welche politischen Einstellungen sie als gefährlich einzustufen haben, sei „ein Eingriff, den es in einem freien Land nicht geben darf“. Harte Worte findet auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger (Berlin). Gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zog er einen Vergleich zu den „Beschwerdeportalen“ der AfD für Schüler. In der Handreichung werde mit fragwürdigen Kategorien ein „völkischer Typus“ kreiert – „das ist abstoßend, kontraproduktiv und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage“.

Stiftung weist kritische Vorwürfe als Falschaussagen zurück

Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey (SPD), verfasste das Vorwort für die Handreichung. Sie verteidigte sich nun gegenüber den Vorwürfen: „Es geht nicht darum, Eltern zu kontrollieren, zu bevormunden, zu vereinnahmen.“ So wolle die Broschüre Erziehern „Informationen, Beratung und Unterstützung im Umgang“ geben, sagte sie vor Journalisten. Eine solche Handreichung sei von Fachkräften aus den Einrichtungen immer wieder nachgefragt worden. Die Amadeu Antonio Stiftung teilte in einer Klarstellung unter dem Titel „Es geht um das Kindeswohl und nicht um blonde Zöpfe“ mit: „Durch gezielte Auslassungen, falsche Zitierungen und gewollte Missinterpretationen haben rechtspopulistische ‚Alternativmedien’ den Eindruck erweckt, eine Handreichung zum Umgang mit konkreten Fällen von Rassismus und Rechtsextremismus wolle dazu anregen, die politische Einstellung der Eltern zu erfassen und zu kontrollieren.“ Dass dies von Massenmedien sowie einigen Politikern ungeprüft übernommen werde und daraufhin Aussagen getroffen würden, „offenkundig ohne sich mit der Handreichung auseinandergesetzt zu haben, ist ärgerlich“. So würden beispielsweise nirgendwo „Mädchen mit Zöpfen unter generellen Rechtsextremismus-Verdacht gestellt“. Die 1998 gegründete Amadeu Antonio Stiftung wendet sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.