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"Propaganda-Social-Bots sind eine Gefahr für Demokratie und Gesellschaft", mahnte die Digital Expertin Tabea Wilke bei der Diskussion.
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Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, blickt laut eigenem Bekunden mit gemischten Gefühlen auf die Digitalisierung. "Alles hat seine zwei Seiten", sagte der Kardinal am Dienstag beim Katholischen Medienkongress in Bonn. Man müsse sehen, wohin die Entwicklung gehe. Es sei zwar "eine neue Dimension" mit der Digitalisierung entstanden. Dass man aber die Entwicklungen einfach laufen lassen könne in der Hoffnung, dann gehe es allen Menschen automatisch besser, sei "pure Ideologie", so Marx. Es brauche vielmehr geeignete Rahmenbedingungen.

Eine wichtige Frage sei vor diesem Hintergrund, wie man "Transformationen" so gestalten könne, dass alle im Boot blieben, betonte der Bischofskonferenz-Vorsitzende. Das gelte etwa mit Blick auf die Frage, wie sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung ändere und welche Jobs dann möglicherweise wegfielen. "Wir müssen alles tun, damit die Welt nicht aufgeteilt wird in Gewinner und Verlierer", mahnte Marx. "Sind unsere Strukturen, auch in den Wertschöpfungsketten so, dass die digitale Welt zum Wohl der Menschheit wird?"

Notwendig sei "ein System von Verantwortlichkeiten und Ordnungen", hob Marx in einer Diskussion mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, hervor. Es brauche Wettbewerbsregeln, um ein "immer Mehr" von wenigen zu verhindern. Der Kardinal bilanzierte: "Die Zukunft ist spannend. Es gilt, wach zu sein. Aber ohne Angst."

Als Ursache für Hass und Respektlosigkeit wollte Marx das Internet nicht verstanden wissen. Die Digitalisierung wirke lediglich als "Beschleuniger" für das Phänomen, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Die Gesellschaft insgesamt befinde sich in einer schwierigen Situation, so Marx weiter. Der Kardinal verwies auf eine wachsende Ungleichheit. Dies könne zu politischen Verwerfungen führen - "mit unangenehmen Folgen". Dies sei aktuell in Europa zu beobachten. "Da habe ich eine große Sorge, was das 21. Jahrhundert angeht."

Beim diesjährigen Katholischen Medienkongress diskutierten am 16./17. Oktober mehr als 350 Journalisten, Medienexperten und Kirchenvertreter unter dem Titel "Es ist erst der Anfang ... Gesellschaftliche Herausforderungen in der digitalen Welt" u.a. über Netzpolitik, Teilhabegerechtigkeit und Medienwandel sowie über die Auswirkungen dieses Wandels auf die Kirche. Zu den prominenten Teilnehmern gehörte etwa "Bild"-Chefredakteurin Tanit Koch und der Chef der deutschen Telekom, Timotheus Höttges.

Auch Ethik, nicht nur Technik

Der ehemalige deutsche Verfassungsrichter Paul Kirchhof warb bei der Konferenz dafür, sich in der Debatte über digitale Möglichkeiten nicht nur auf das zu konzentrieren, was technisch machbar ist. Es müsse stärker gefragt werden, was der Mensch dürfe, und nicht nur, was theoretisch möglich sei, sagte Kirchhof. Der Mensch müsse das System reflektierend nutzen und täglich infrage stellen: "Es darf nicht sein, dass eine Technik bestimmt, was in einer Gesellschaft verbindlich ist und was nicht".

Kirchhof rief dazu auf, den "Auftrag der Digitalisierung" anzunehmen und Chancen zu nutzen, allerdings im "Selbstbewusstsein des freien Menschen". Die Digitalisierung verändere Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, denn die digitale Welt sei auf den Schwarm angelegt, was weitgehend nicht die Idee einer demokratischen Zugehörigkeit beinhalte. "Wir müssen uns auf das Individuum, seine Grundrechte, die Meinungsfreiheit besinnen", forderte Kirchhof weiter: "Solange Technik unserer Freiheit dient, ist sie gut. Und wenn sie es nicht tut, kämpfen wir dagegen."

Heikler Trend zu "Social Bots"

Ein Tagungspanel widmete sich dem zunehmenden Einfluss von "Social Bots" und anderen Gesprächsrobotern in politischen und gesellschaftlichen Debatten. "Propaganda-Social-Bots sind eine Gefahr für Demokratie und Gesellschaft", mahnte die Digital-Expertin Tabea Wilke bei der Diskussion. Sie leitet den Verein "botswatch", der sich auf die Erkennung und Enttarnung von "Social Bots" spezialisiert hat. Dabei habe sie gerade vor der jüngsten Bundestagswahl beobachtet, dass der Einsatz solcher Techniken stark zugenommen habe, die im Netz suggerieren, dass deutlich mehr Menschen bestimmte Positionen vertreten, als es tatsächlich der Fall ist.

Aus Sicht der Kirchen sei klar, dass es niemals in Ordnung sein könne, "wenn Menschen manipuliert werden, indem ihnen vorgegaukelt wird, dass massenhaft Leute einer bestimmten Meinung seien", betonte der katholische Theologe und Medienexperte Michael Hertl, der seit kurzem Sprecher der Erzdiözese Freiburg ist.

Auch in der Kirche, so Hertl, habe es schon Überlegungen gegeben, sogenannte Chatbots einzusetzen, die zum Beispiel häufig wiederkehrende Routinefragen beantworten könnten wie "Was kostet eine Taufe?" oder "Wo kann man in der Nähe kirchlich heiraten?" Allerdings sei klar, dass - sollte es je so weit kommen - die persönliche Kommunikation immer im Vordergrund stehen müsse und jeder Nutzer sehr schnell mit einem echten Menschen Kontakt aufnehmen könne.

"Nicht denken: 'Uns will keiner mehr'"

Debattiert wurde beim Medienkongress auch über die Lage der katholischen Publizistik. Diese muss nach den Worten des Geschäftsführenden Gesellschafters des Herder Verlages, Manuel Herder, einen gewissen Defätismus hinter sich lassen. Man dürfe nicht denken: "Uns will keiner mehr", sagte er bei einer Diskussionsveranstaltung. Denn die Werte, für die das Christentum stehe, würden nachgefragt, sie seien modern.

Mit Blick auf die Zielgruppe - in Deutschland gibt es rund 23 Millionen Katholiken - gab Herder zu bedenken: "Katholiken sind keine homogene Gruppe." Man müsse sich mit unterschiedlichen Interessen, Fragen und Diskussionsverläufen beschäftigen, um Leser für die katholische Publizistik zu gewinnen. So könnten neue Autoren im Verlagsprogramm auch neue Leserschaften erschließen, zum Beispiel junge Leute.

"Messe Media"-Geschäftsführer Tobias Fredebeul-Krein empfahl ein "besseres Storytelling", um Publikationen an die Leser zu bringen. Die "Kraft der Marke" habe zugenommen, und entsprechend müsse man im Marketing agieren. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass man seine jeweilige Zielgruppe kennen oder auf der anderen Seite wissen müsse, wer die Zielgruppe eben nicht sei, damit eine Publikation erfolgreich auf dem Markt bestehe. Der Geschäftsführende Gesellschafter der Mediengruppe Klambt, Kai Rose, sagte, dass es nicht immer um die Abwägung "print first" oder "digital first" gehe: An erster Stelle müsse die Leserin oder der Leser stehen. Und er empfahl: "neugierig bleiben."

Medienpreis für Reportage über Spätabtreibungen

Bereits am Montagabend wurde im Rahmen des Kongresses auch der Katholischen Medienpreis 2017 an drei Journalisten verliehen. Deutsche Bischofskonferenz, die Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP) und der Katholischen Medienverband (KM) ehrten damit Jeanne Turczynski in der Kategorie "Elektronische Medien" für die Radio-Reportage "Eine Entscheidung zwischen Leben und Tod", die an vier Beispielen Gewissenskonflikte im Zusammenhang mit Spätabtreibungen aufzeigt. Den "Printmedien"-Preis erhielt Claas Relotius für den im Magazin "Der Spiegel" veröffentlichten Text "Königskinder" über ein Geschwisterpaar aus Aleppo und dessen Flucht in die Türkei. Der erstmals ausgelobte "Sonderpreis der Jury" ging an Christina Fee Moebus für ihre Crossmedia-Serie "Der Gespenster-Schiff-Prozess". Darin wird geschildert, wie 1933 Nazis in Bremerhaven politische Gegner auf einem Schiff im Hafen folterten.