Ein reduziertes Bühnenbild zieht zunächst die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Drei leere Pulte und eine Wand. Davor drei Männer. Ihre starre unsichere Gestik wirkt suchend und verloren und ihre biederen Pullover und zugeknöpften Hemden verstärken diese spürbare Hilflosigkeit. Sie bleiben stumm. Als das Licht angeht, ist eine Frau nackt am Boden kauernd zu sehen. Schnell und bestimmt finden die Männer nun ihren Platz und beobachten diese mit Arroganz. Jetzt finden sie ihre Sprache wieder und diese ist Messer und Hammer. Kalt und tödlich. Und so sind auch ihre Fragen an die angeklagte Frau. Sie versucht zu antworten. Doch die Fragen sind nicht Fragen sondern bloß gebrüllte Aussagen, die es unter fordernden Blicken zu bestätigen gilt. Es gibt keine Auswahl der Antworten. Keine Wahl. Das ist kein Gericht sondern ein Tribunal. Sie ist ein Objekt. Umringt von entfesselter entblößter Macht und deren abgründigen Phantasiegeburten. Doch angeklagt sind nicht diese, nein, sie ist es, die es zu überführen, zu verbrennen gilt. Wird es gelingen? Ihr Name: Johanna. Der Ort: Rouen. DIE ZEIT: 1430 – „Johanna. Eine Passion“.
Das Leben und der tragische Tod der 19jährigen von Visionen angetriebenen Landadelstochter Jeanne d‘ Arc im blutigen Streit um die Thronfolge in Frankreich (Hundertjähriger Krieg 1337-1453) zwischen dem englischen König Edward III. (Haus Plantagenet) und dem französischen König Philippe VI.(Haus Valois) ist facetten- wie mythenreich. In einem französischen Dorf an der Maas zu Beginn des 15.Jahrhunderts geboren, sind es seit früher Jugend an Mitteilungen und Gesichter von Heiligen, denen Jeanne d‘ Arc eine politische Sendung entnimmt, die sie in die Mitte der tödlichen dynastischen Spannungen der Zeit führen. Sie sieht sich als unmittelbare militärische Führungspersönlichkeit, die, Kraft visionärer Legitimation auf Seiten des Dauphin (französischer Thronfolger) um dessen Herrschaftsanspruch gegenüber dem englischen Königshaus zu kämpfen hat. An vorderster Frontreihe erlangt sie erstaunliche Kriegserfolge, die schließlich zur glanzvollen Krönung von Karl VII in Reims führen. Jeanne d‘ Arc ist dort an seiner Seite. Im weiteren Spiel der Mächte und Kriegswirren wird sie aber schließlich zum politischen Faustpfand und von Karl VII fallengelassen.
Es folgt die Gefangennahme und die Auslieferung an die Inquisition. 67 Anklagepunkte von Zauberei bis Mord werden erstellt. Der Prozess unter schwerer Folter dauert unter dem Vorsitz des Bischofs von Beauvois drei Monate. Jeanne d‘ Arc beruft sich darin auf ihre göttliche Sendung und setzt diese gegen die kirchliche Autorität. In langen Verhören werden Gutachten erstellt, die sie als Ketzerin festschreiben. Jeanne d‘ Arc, von andauernder Folter schwer gezeichnet, gesteht in den Anklagepunkten, wird exkommuniziert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Das genügt den politischen Gegenspielern jedoch nicht. Sie muss als Ketzerin verurteilt werden. Erneut wird ein Prozess begonnen, der das gewünschte Ziel erreicht. Am 30.Mai 1431 wird sie schließlich auf dem Scheiterhaufen am Marktplatz von Rouen verbrannt. Die Asche wird in die Seine gestreut.
Gut 20 Jahre später folgt ein Revisionsprozess, der das Urteil aufhebt und Johanna zur Märtyrerin erklärt. 1920 wird sie schließlich von Papst Benedikt XV heiliggesprochen. Es folgen in den Jahrhunderten viele gesellschaftspolitische Instrumentalisierungen, deren teils entsetzliche Zerrbilder bis in die Gegenwart reichen.
In der Inszenierung von Christian Himmelbauer am TAG Theater Wien tritt in einer kaleidoskopartigen Zeitreise der Interpretationen und Ambivalenzen über Jahrhunderte hinweg das Spannungsverhältnis autoritären Machtmomentes und individueller Selbstbehauptung im eindringlichen Porträt Jeanne d‘ Arc in den Vordergrund. Dabei sind, ausgehend von den unterschiedlichen historischen und theologischen Ausgangspunkten, durchaus Analogien zu Persönlichkeiten der Reformation zu erkennen und deren Ansprüchen selbstbewusster Identitätsbildung wie individueller Tragik. Der historische Stoff der verhörten und hingerichteten Jeanne d‘ Arc gleicht in seinen Originalprotokollen, an denen sich die Regie orientiert, aber auch einem psychoanalytischen Lehrbeispiel von Macht und Gewalt und öffnet damit Analogien zu aktuellen kritischen Fragestellungen zum Thema Sexismus und Autoritätsstrukturen.
Das großartige TAG Ensemble mit der herausragenden Lisa Schrammel (Johanna), Jens Claßen (Ole), Raphael Nicholas (Sören) und Georg Schubert (Lars) bietet in der beeindruckend facettenreichen wie reflektierten Inszenierung von Christian Himmelbauer bestes anspruchsvolles Gegenwartstheater, das in Regie und Darstellung nachhaltig überzeugt und begeistert. Ein Abend, der erschütternd nah am Zeitgeschehen ist und nachdenklich in Stadt und Land entlässt.