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Gerade in fundamentalistischen Kreisen würde das Infektionsgeschehen oft verharmlost werdnen, beobachtete Dantine bei der Tagung in Innsbruck.
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Der evangelische Superintendent der Diözese Salzburg/Tirol, Olivier Dantine, sieht die Religionsgemeinschaften in der Pflicht, in der Coronakrise Aufklärungsarbeit zu leisten – gerade was Wissenschaftsskepsis und Verschwörungstheorien anbelangt: „Wir können uns nicht aus der Pandemie herausbeten. Das ist den allermeisten klar, aber leider eben nur den allermeisten“, sagte Dantine am Donnerstag, 26. November, bei einem Diskussionspanel an der Universität Innsbruck, das die Rolle der Glaubensgemeinschaften in der Krise thematisierte. Gerade in fundamentalistischen Kreisen – Dantine sprach damit alle Religionsgemeinschaften gleichermaßen an – sei zu beobachten, dass das Infektionsgeschehen verharmlost werde. Wichtig sei dagegen zum einen, die Grenzen kirchlichen Handelns anzuerkennen. Zugleich gehe es aber darum, Halt zu geben in einer Situation, in der viele Menschen mit der Zerbrechlichkeit und Unverfügbarkeit des Lebens konfrontiert seien. Die Gesprächsrunde, an der neben Dantine der römisch-katholische Theologe Roman Siebenrock, der muslimische Theologe Zekirija Sejdini und Thomas Lipschütz von der Israelitischen Kultusgemeinde Tirol und Vorarlberg teilnahmen, war Teil der Tagung „Corona Verstehen“, die – online – von 25. bis 27. November an der Universität stattfindet.

Siebenrock: “Gott nichts als Deus ex machina einsetzen”

Man könne Gott nicht als Deus ex machina einsetzen, zitierte der römisch-katholische Leiter des Instituts für Systematische Theologie an der Universität Innsbruck, Roman Siebenrock, den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Die Coronakrise könne damit nicht auf Gott zurückgeführt werden, zum Beispiel im Sinne einer Strafe, sondern konfrontiere uns selbst mit einer “radikalen Kontingenz”. Die Situation sei dadurch ausgezeichnet, “dass wir keine Ahnung haben, wie wir diese Herausforderung bewältigen können.“ Er Glaube nicht, dass es theologisch schnell Antworten auf die Fragen geben werde, die sich durch die Pandemie stellten: „Ich bin der Meinung, dass wir die Sprachlosigkeit dieser Zeit sehr notwendig haben. Vielleicht kann erst die nächste Generation die richtigen Schlüsse daraus ziehen.“ Dennoch plädierte Siebenrock für „eine ökumenische, vielleicht interreligiöse Synode, in der wir fragen, was ist unsere Aufgabe und Verantwortung in dieser Welt?“

Lipschütz: “Krankheit ruft dazu auf, über Leben zu reflektieren”

Leben zu erhalten sei eines der grundsätzlichen Gebote des Judentums, unterstrich Thomas Lipschütz von der Israelitischen Kultusgemeinde Tirol und Vorarlberg. Das impliziere das eigene Leben, aber auch das von anderen Menschen und Lebewesen, was gerade jetzt in der Pandemie schlagend werde. Als lebensbejahende Religion betone das Judentum, dass auch im Krankheitsfall die Hoffnung auf Besserung nicht aufgegeben werden dürfe. Auch rufe die Krankheit dazu auf, über das eigene Leben zu reflektieren: „Wie ist mein Leben verlaufen? Wie kann ich es verbessern? Was ist schief gelaufen?“ Sie könne der Appell Gottes an den/die Einzelnen für ein neues Denken sein.