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Ein wertschätzender Dialog zwischen Christen und Juden ist eine "absolute Notwendigkeit und große Bereicherung": Oberkirchenrätin Ingrid Bachler beim Gottesdienst zum Tag des Judentums.
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Zum „ständigen, aktiven, von gegenseitiger Wertschätzung getragenen Dialog zwischen Christen und Juden“ hat die evangelische Oberkirchenrätin Ingrid Bachler aufgerufen. Ein solcher Dialog sei zum einen eine absolute Notwendigkeit, zum anderen auch eine große Bereicherung, sagte Bachler in ihrer Predigt am Mittwochabend, 17. Jänner, beim Gottesdienst des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) in Wien. In ihrer Predigt am „Tag des Judentums“ sprach Bachler die geschichtlichen Verfehlungen im Verhältnis der Kirchen zum Judentum an; auf eine „Unheilsgeschichte“ folgte ein langer Weg zur Rückbesinnung der Kirchen auf ihre jüdischen Wurzeln. An dem Gottesdienst in der Altkatholischen Heilandskirche im 15. Wiener Gemeindebezirk nahmen auch der ÖRKÖ-Vorsitzende und reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld, Dechant Ferenc Simon (Römisch-Katholische Kirche), Bischof Heinz Lederleitner (Altkatholische Kirche), Bischofsvikar Patrick Curran (Anglikanische Kirche) sowie Pastorin Esther Handschin und Pastor Helmut Nausner (beide Evangelisch-methodistische Kirche) teil.

„Jahrhundertelanger christlicher Antisemitismus“

In ihrer Predigt warf Bachler einen für die Kirchen selbstkritischen Blick auf die Geschichte der Beziehung zwischen ChristInnen und Juden bzw. Jüdinnen. Diese Geschichte sei „über weite Strecken eine Unheilsgeschichte gewesen, geprägt von einem jahrhundertelangen christlichen Antijudaismus mit oftmals gewalttätigen Auswüchsen“. Besonders hob Bachler auch Verfehlungen der Evangelischen Kirchen zur Zeit des Nationalsozialismus hervor: „Im Jahr 1 nach dem 500. Reformationsjubiläum möchte ich ergänzen, dass auch die Evangelischen Kirchen bis auf wenige Einzelne in der Zeit des Nationalsozialismus versagten, weil sie Menschen jüdischen Glaubens nicht schützten und sich dem Holocaust nicht vehement entgegenstellten. Erst nach 1945 begannen sie, den verhängnisvollen Weg des Antijudaismus zu verlassen.“ Dabei hätten sie die Bedeutung des jüdischen Erbes für den christlichen Glauben völlig neu verstehen gelernt.

„Die Wurzel trägt dich“

Die christliche Voreingenommenheit gegenüber dem Judentum habe auch theologischen Niederschlag gefunden: „Die Hebräische Bibel wurde als ‚Altes Testament‘ christlicherseits vereinnahmt, das Judentum als Gottesvolk enteignet und durch die Kirche als abgelöst betrachtet.“ Es habe lange gedauert, bis eine Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens eingesetzt habe, die sich auch im Motto des Tags des Judentums aus dem Römerbrief ausdrücke: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18)

Der ÖRKÖ hat im Jahr 2000 den „17. Jänner – Tag des Judentums“ als Gedenktag im Kirchenjahr eingeführt. Heuer stand er unter dem Motto „Unsere gemeinsame Hoffnung“. Dabei sollen sich die Christen in besonderer Weise ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden. Bei Gottesdiensten und Veranstaltungen in ganz Österreich soll auch das Unrecht an jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte thematisiert werden.