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"Es braucht nicht 21 Mal dasselbe an verschiedenen Orten", sagt der neue Wiener Superintendent Matthias Geist im Gespräch mit dem epd.
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Weitreichende Strukturreformen erwartet sich der neue Wiener Superintendent Matthias Geist im nächsten Jahrzehnt von der Evangelischen Kirche. Das könne bis zu einer Abschaffung des Amts des Superintendenten reichen, meinte Geist (49) im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. In der Frage der kirchlichen Trauung für Homosexuelle plädiert der frühere Gefängnisseelsorger für einen Kompromiss, die Neuregelung der Mindestsicherung hält er in manchen Bereichen für einen „Unsinn“. Geist war im vergangenen Juni zum Nachfolger von Hansjörg Lein als Superintendent gewählt worden. Am kommenden Sonntag, 27. Jänner, wird er in der Wiener Lutherischen Stadtkirche durch Bischof Michael Bünker feierlich in sein Amt eingeführt.

„Braucht nicht 21 Mal dasselbe an verschiedenen Orten“

Für die Wiener Diözese mit ihren knapp 47.000 Mitgliedern in 21 Pfarrgemeinden wünscht sich der neue Superintendent „viel stärkere regionale Projekte, um nicht zu sagen Zusammenschlüsse“ in einzelnen Arbeitsbereichen. „Wenn sich Gemeindearbeitszweige verbinden können, dann braucht es vielleicht nicht 21 Mal dasselbe an verschiedenen Orten, sondern vielleicht nur fünfmal. Es muss nicht alles überall stattfinden.“ Von den möglichen strukturellen Änderungen nimmt Geist sein eigenes Amt nicht aus: Das müsse es zum Ende seiner zwölfjährigen Amtszeit vielleicht gar nicht mehr geben: „Dann nämlich, wenn sich Wien auf eine oder fünf Großgemeinden orientiert, dann braucht es vielleicht diese zweite Ebene in unserer kirchlichen Aufbauordnung gar nicht.“

„Nachhaltigkeit in Evangelischer Kirche manchmal noch ein Randthema“

Inhaltlich besonders herausgefordert sieht er die Kirche insbesondere in der Nachhaltigkeitsdiskussion, hinsichtlich der Alterung der Gesellschaft sowie der ökumenischen und interreligiösen Beziehungen. „Die Frage der Nachhaltigkeit betrifft uns und unsere Kinder und nachkommende Generationen. Das ist die Evangelische Kirche österreichweit und auch in Wien mit manchen Projekten schon am Puls der Zeit, aber es ist manchmal noch ein Randthema.“ Der Umgang mit Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen, aber dennoch aktiv seien, gehöre überdacht: „Das wird noch sehr spannend werden, das war vor dreißig, vierzig Jahren noch ganz anders.“ Hier gelte es Wege zu finden, Kompetenzen gezielt einzubeziehen. In den ökumenischen Beziehungen will Geist unter anderem von Freikirchen lernen, „was in unserer Evangelischen Kirche momentan fehlt, was aber ein großes Bedürfnis ist“. Klares Lob findet er für die Flüchtlingsarbeit: Da gebe es ein hohes Engagement, „das auch die Stimme für die Menschen, die es brauchen, erhebt“.

Keine Abstufung zwischen Mitgliedern und SympathisantInnen

Angesichts sinkender Mitgliederzahlen will sich der neue Superintendent nicht in Statistiken verlieren. Es gebe viele SympathisantInnen der Kirche, die jedoch nicht oder nicht mehr zahlende Mitglieder seien: „Die sollen wir nicht verzwecken und als potenzielle Kirchenbeitragszahler begreifen, sondern einen neuen Umgang anstreben. Der soll keine Abstufung kennen zwischen Mitgliedern und SympathisantInnen.“ Für die Finanzpolitik spielten die Mitgliederzahlen zwar eine Rolle, „aber für das Wesen der Evangelischen Kirche sollte das nicht so sein“. Dieser neue Umgang könne zwar dazu führen, „dass jemand sagt: ‚ich singe jetzt schon so lange bei euch im Chor, jetzt trete ich auch ein‘“ – aber das sei nicht das primäre Ziel.

Trauung für alle: „Erwarte einen Fleckerlteppich“

Am 9. März entscheidet die Synode, das gesamtösterreichische Kirchenparlament, über die Einführung der kirchlichen Trauung für homosexuelle Paare. Hier tritt Geist für eine Kompromisslösung ein, mit der Befürworter und Gegner Leben können. „Es kann nicht sein, dass eine Diskriminierung, die schon vom Verfassungsgerichtshof als solche anerkannt wird, von uns fortgeführt wird.“ Für Pfarrerinnen und Pfarrer, die zu einer Trauung Homosexueller nicht bereit seien, soll diese auch nicht verpflichtend sein: „Bevor man etwas tut, was einem nicht schlüssig erscheint, soll man doch der Ehrlichkeit Raum geben.“ Nicht nur in Wien erwartet Geist daher einen „Fleckerlteppich“ aus Pfarrgemeinden, die die „Trauung für alle“ anbieten und solchen, die es nicht tun. Hier könne aber die Superintendentur für Betroffene Orientierungshilfen anbieten, um eine passende Pfarrgemeinde zu finden.

Streichung der Mindestsicherung für Straffällige „Unsinn“

Für „Unsinn“ hält der frühere Gefangenenseelsorger das Vorhaben der Bundesregierung, Straffälligen ab einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten im entsprechenden Zeitausmaß die Mindestsicherung zu streichen: „Das hilft denen, die wieder auf die Beine kommen sollen, ganz und gar nicht. Ich finde es auch rechtsstaatlich bedenklich, wenn jemand durch eine Straffälligkeit aus dieser Möglichkeit, sein Leben zu bestreiten, herausfällt.“