„Ein Christ, der nicht politisch ist, verfehlt seinen Auftrag als Christ. Wir haben prophetisch zu sein und unsere Stimme in der Gesellschaft zu erheben“, sagte der reformierte Landessuperintendent und Vorsitzende des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRKÖ), Thomas Hennefeld, am Donnerstag, 27. September, vor österreichischen JournalistInnen beim Weltkirchenrat in Genf. Diese gesellschaftspolitisch relevante Seite des Christentums sei gefragt, wenn z.B. die Politik zu wenig auf Schwache und Arme achte, meinte Hennefeld anlässlich einer Pressereise mit dem Vorarlberger Römisch-katholischen Bischof Benno Elbs zu den Wirkungsstätten der Schweizer Reformatoren Ulrich Zwingli und Johannes Calvin in Zürich und Genf. Zürich feiert 2019 das 500-Jahr-Jubiläum von Zwinglis Amtsantritt am Großmünster – für viele die Geburtsstunde der Schweizer Reformation. Die Reise war von der Katholischen Presseagentur „Kathpress“ und dem Evangelischen Pressedienst gemeinsam organisiert worden.
Zwingli und Calvin hätten Wert gelegt auf die Katholizität – also die Universalität und Einheit – der Kirche; beide hätten keine neue Kirche gründen, sondern diese von Fehlentwicklungen reinigen wollen und unter der Spaltung gelitten. Das in Zwingli-Jahr sehe er nicht als Anlass, diese herausragende Glaubensgestalt auf ein Podest zu stellen, vielmehr solle Gerechtigkeit als besonderes Anliegen des Reformators betont werden. Sowohl Zwingli als auch Calvin hätten nicht „individuellem Seelenheil“ den Vorrang gegeben, sondern der Frage, wie menschenwürdiges Leben in einer Gesellschaft aussehen müsse. Dazu gelte es neben konkreter Not auch auf Not verursachende Strukturen zu achten, so der Landessuperintendent.
Dieser gesellschaftspolitische Anspruch der Reformatoren ziehe sich nach den Worten Hennefelds bis in die Zeitgeschichte, zeigte sich im Widerstand gegen das NS-Regime ebenso wie im gegenwärtigen Einsatz gegen Neoliberalismus und für Flüchtlinge. Der Reformator Calvin selbst sei ein Vertriebener gewesen, der später dafür sorgte, dass in Genf – am Beginn der Neuzeit eine „Stadt der Flüchtlinge“ – die gelungene Integration der Aufgenommenen den Grundstein für den Wohlstand der Stadt legte. Hennefeld warnte auch vor einer politischen Instrumentalisierung von Begriffen wie den „christlichen Wurzeln Europas“. Die Reformierte Kirche stehe zum säkularen Staat, der auch anderen Wurzeln als den christlichen mit Wertschätzung begegnen und letzteren keine Dominanz einräumen solle. Hennefeld plädierte für eine christliche Spiritualität, „die sich nicht über andere erhebt“; antimuslimische Affekte würden meist einem verlorenen christlichen Selbstbewusstsein entspringen.
Elbs: Manche Fragen der Ökumene werden uns noch Jahrzehnte beschäftigen
Eine enge Zusammenarbeit der Kirchen im gesellschaftspolitischen und auch seelsorglichen Bereich befürwortete Bischof Benno Elbs in dem Journalistengespräch und zeigte sich positiv überrascht, wie gut diese Zusammenarbeit in der Schweiz gelinge. Sowohl in Zürich – etwa bei der von Katholiken und Reformierten gemeinsam getragenen „Bahnhofkirche“ oder im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beider Medienzentren – als auch in Genf etwa bei Krankenhaus- und Gefangenenseelsorge oder in der Flüchtlingsarbeit habe man auf der Schweizreise viel an „positivem ökumenischen Geist“ erlebt. Nach trennenden Elementen der Kirchen gefragt – die Frage des Frauenpriestertums oder der Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften – antwortete Elbs: „In der Ökumene müssen wir auf das Gemeinsame schauen. Andere Fragen werden uns wahrscheinlich noch Jahrzehnte beschäftigen.“ Die Katholische Kirche und die protestantischen hätten hier definitiv andere Zugänge, in welche Richtungen sich das entwickle, könne er nicht sagen.
Zugleich äußerte Elbs die Überzeugung, das Wirken der Kirchen und der Ökumene dürfe sich nicht auf rein Humanitäres beschränken, Religion sei mehr als nur Gesellschaftspolitik und solle mit ihren Symbolen auch öffentlich präsent sein. Ein „falsch verstandener Laizismus“ dürfe diese Dimension des Menschseins nicht ausblenden, „sonst kommt die Religion durch die Hintertür als Abgrenzungsmittel gegenüber anderen“, warnte der Feldkircher Bischof. Auch der auf Ebene des europäischen Integrationsprozesses sollten die christlichen Wurzeln des Kontinents nicht verleugnet werden, argumentierte Elbs gegen Hennefeld: „Ein Baum, dessen Wurzeln man abschneidet, geht ein.“ Besonders wies er auch auf das Martyrium als wesentliche Ebene der Ökumene hin. Heute gebe es weltweit rund 100 Millionen wegen ihres Glaubens verfolgte Christen, bei deren Bekenntnis zu Christus spielten Konfessionsgrenzen keine Rolle, betonte Elbs.
Zur Frage der Interkommunion, der gemeinsamen Teilnahme gemischtkonfessioneller Ehepaare an der Eucharistiefeier, erklärte Bischof Elbs, aus katholischer Sicht sei Eucharistie ein „Sakrament der Versöhnten“ nicht eines der Versöhnung – also Mittel zum Zweck voller Einheit. Wie auch die Unterschiede in der Frage kirchlicher Ämter sei dies ein im theologischen Diskurs zu klärendes Thema. Im Blick auf das praktische Leben als eine weitere Ebene der Ökumene plädiere er dafür, dass evangelische Ehepartner im Einzelfall die Kommunion empfangen können, sofern sie den Inhalten im Hochgebet der katholischen Kirche innerlich zustimmen können – eine Lösung, auf die sich auch die Deutsche Bischofskonferenz im Februar mit Dreiviertel-Mehrheit geeinigt hatten. Papst Franziskus hatte dies danach als Orientierungshilfe für Bischöfe gewürdigt, die in ihren Diözesen jeweils Regelungen treffen könnten, die „das Kirchenrecht schon jetzt erlaubt“.