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Das "unveräußerliche Grundrecht auf Leben" dürfe nicht untergraben werden, so der Theologe Körtner.
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Einen transparenten Kriterienkatalog für die Entscheidung, welchen Patientinnen und Patienten bei beschränkten Kapazitäten in der Coronakrise intensivmedizinische Ressourcen angeboten werden, fordert der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner. In einem Gastbeitrag für science.orf.at knüpft der Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien an eine Debatte über „Triage“ an, hergeleitet aus dem Französischen „trier“ („sortieren“). Dabei wird das sonst geltende „first come, first serve“-Prinzip ergänzt bzw. ersetzt durch eine Einschätzung der Behandlungsdringlichkeit je nach Notfallpatient –  um etwa über die Aufnahme auf die Intensivstation oder auch die Beendigung einer Intensivtherapie zu urteilen.

Es sei nicht auszuschließen, dass Ärzte in dieser Situation Gewissensentscheidungen zu treffen hätten, so Körtner. „Daraus darf aber keine allgemeine ethische oder rechtliche Regel abgeleitet werden, die das unveräußerliche Grundrecht auf Leben untergraben würde.“ Einerseits dürfe es keine „Altersdiskriminierung“ geben. Andererseits würden auch im Katastrophenfall Intensivbetten für andere Patienten benötigt, zum Beispiel für Unfallopfer, Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten oder frisch Operierte nach einem schweren Eingriff.

Alle Krankenhausträger gefordert

Bereits ausgearbeitete Empfehlungen von Fachgesellschaften und Ethikräten zur Triage –  zuletzt u.a. von der Österreichischen Palliativgesellschaft oder von der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) – blieben allerdings wirkungslos, wenn sie nicht in den Krankenanstalten für verbindlich erklärt werden. „Hier sind nicht nur die einzelnen Spitäler gefordert, sondern auch die staatlichen, kommunalen und privaten Krankenhausträger“, urgiert der Theologe.

Körtner weist auch darauf hin, dass unter Umständen an Covid-19 erkrankte Ärzte und Pflegefachkräfte vordringlich behandelt werden müssen, um das Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten. Deren Gesundung sei für die Versorgung der Gesamtbevölkerung entscheidend –  „ihr Leben zu retten bedeutet, auch andere Leben zu retten“. Körtner erinnert daran, dass in Italien am 26. März bereits 6.205 Ärzte und Sanitäter mit dem Coronavirus infiziert wären; 29 Ärzte seien seit dem Beginn der Pandemie verstorben.

Disziplin auch aus Eigeninteresse geboten

Der Medizinethiker beendet seine Ausführungen mit einem Dringlichkeitsappell: „Hoffentlich wird nun auch dem Letzten klar, dass es längst nicht mehr nur darum geht, dass die Jungen die Alten oder Risikogruppen mit Vorerkrankungen schützen.“ Auch bei jungen Menschen könne eine Coronavirus-Infektion einen schweren oder sogar tödlichen Verlauf nehmen. Außerdem könnten diese Jüngeren auch indirekt Opfer der Pandemie werden, wenn nämlich für sie nach einem schweren Unfall oder Herzinfarkt kein Intensivbett mehr frei ist. „Darum handelt jeder, der jetzt die Anweisungen der Behörden strikt befolgt, nicht nur aus Solidarität und Humanität, sondern auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse“, schärft Körtner ein.