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Überreste der ältesten Synagogue Wiens.
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Kardinal Christoph Schönborn ruft zu einer Erinnerungskultur rund um das "unsägliche Leid" der jüdischen Bevölkerung Wiens auf. "Damals, vor 600 Jahren, und erst wieder in jüngster Vergangenheit! Daran sollten wir gerade heute denken", mahnte der Wiener Erzbischof in seiner Freitags-Kolumne in der Zeitung "Heute" vor dem Hintergrund des 600. Jahrestags der "Wiener Gesera". Am 12. März 1421 sei das jüdische Leben in Wien auf Erlass Herzog Albrechts V. (1397-1439) "systematisch vernichtet" worden. "92 Männer und 120 Frauen wurden bei lebendigem Leib auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Öffentlich, auf der Gänseweide im heutigen dritten Bezirk", erinnerte Schönborn.

 

Er sei dankbar, dass mittlerweile "in Wien wieder ein vielfältiges jüdisches Leben blüht", betonte Schönborn. Bis heute erinnere eine Gedenktafel am Judenplatz an die Verbrechen der "Wiener Gesera" und an die Mitschuld der Christen.

 

"Wie konnte es nur zu diesem hemmungslosen Hass auf unsere jüdischen Geschwister kommen?", fragte der Erzbischof. Die ermordeten Jüdinnen und Juden seien 1421 die letzten überlebenden Mitglieder der bedeutenden jüdischen Gemeinde von Wien gewesen. Bereits 1420 hatte Herzog Albrecht V. verfügt, dass alle Juden, die sich nicht taufen ließen, vertrieben oder gefangengenommen werden sollten; ihr Vermögen wurde eingezogen. Die späteren Opfer der Vernichtung verschanzten sich in der Synagoge am Judenplatz. "Nach dreitägiger Belagerung gaben sie auf: Sie wählten lieber den Freitod als zwangsweise getauft zu werden", erinnerte Schönborn.

 

Gedenken und Erinnerung

 

Auch die Wiener Katholisch-Theologische Fakultät gedachte der "Wiener Gesera" am Freitagvormittag mit einem symbolträchtigen Gedenkakt und dem öffentlichen Bekenntnis der Mitverantwortung für die der Vernichtung der jüdischen Gemeinden im damaligen Herzogtum Österreich. Die "Wiener Gesera" habe "mit fakultärer Rückendeckung" zur Auslöschung der jüdischen Gemeinde von Wien geführt, hieß es dazu in einer Erklärung, die der Dekan der Fakultät, Prof. Johann Pock, bei der Gedenkfeier am Wiener Judenplatz an den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, überreichte.

 

Zuvor hat bereits der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit zum verstärkten Einsatz gegen Antisemitismus aufgerufen. Er begrüßte zwar die Nationale Strategie gegen Antisemitismus der Bundesregierung als "notwendigen Schritt auf dem Weg, seiner historischen und gegenwärtigen Verantwortung gerecht zu werden". Allerdings vermisse man die für ihre Umsetzung der Strategie und ihrer Ziele erforderlichen Strukturen und finanziellen Mittel.

 

Der Oberrabbiner der israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Jaron Engelmayer, warnte bei einem Online-Panel vor drei aktuellen "Gefahrenherden", die antisemitische Affekte bedienten: Den Islamismus, den Rechtsextremismus und den Antizionismus.

 

Das Panel war Teil einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Kontinuität und Aktualität des Antisemitismus. Eine österreichische und globale Herausforderung". Das nächste Panel am 28. April ab 16 Uhr steht unter dem Titel "Erfahrungen und Herausforderungen in der österreichischen Erinnerungskultur". Beteiligte sind u.a. der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Prof. Martin Jäggle, der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, Hanno Loewy, und die stv. Geschäftsführerin des Instituts für Holocaust Education des BMBWF, Victoria Kumar.

 

Abgeschlossen wird die Reihe mit einer zweitägigen Konferenz von 27. bis 28. Mai, die sich mit der Frage des Antisemitismus auf globaler Ebene, im österreichischen Kontext aus Sicht der Theologie und aus Sicht des praktischen Umgangs mit Antisemitismus befasst. (Infos: www.ustinov.at)

 

Wiener Gesera

 

Am 23. Mai 1420 gab Herzog Albrecht V. den Befehl, alle Juden im Herzogtum Österreich gefangenzunehmen. Das war der Startschuss für eines der dunkelsten Kapitel in der österreichischen Geschichte: die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung von Wien und Niederösterreich zwischen Mai 1420 und dem 12. März 1421. Es kam zur völligen Auslöschung aller jüdischen Gemeinden und allen jüdischen Lebens im damaligen Österreich, durch Zwangstaufen, Vertreibungen, Plünderungen und Mord. Die "Wiener Gesera" fand am 12. März 1421 mit der Verbrennung der etwa 210 überlebenden Wiener Juden auf der Erdberger Gänseweide - damals noch vor den Toren und Mauern Wiens - ihren traurigen Abschluss.