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Ausbrechen aus der unaufhörlichen Beschleunigung - dafür plädiert der Umweltforscher Ernst Ulrich von Weizsächer, der die Toleranzgespräche in Fresach eröffnen wird.
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Entschleunigung der Wirtschaft statt unersättlichem Wachstum auf Kosten der Umwelt – nur so ist die Welt vor der zunehmenden Zerstörung durch den gnadenlosen Raubbau an Ressourcen zu retten. Das sei auch eine der Hauptforderungen der jungen „Fridays for Future“-Generation, von der Politik und Wirtschaft noch einiges lernen können, erklärt der deutsche Umweltforscher und SPD-Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker. Bei den diesjährigen Europäischen Toleranzgesprächen in Fresach wird der Umweltforscher am 28. Mai die Eröffnungsrede halten.

„Die junge Generation merkt, dass wir in einer ‚Kurzfrist‘-Zivilisation gelandet sind, sie interessiert aber die ‚Langfrist‘-Perspektive. In der heutigen Wirtschaftsphilosophie geht es immer nur um Vierteljahresabschlüsse. Das ist auch das Hauptthema vieler Start-ups und Digitalisierungsantreiber. Sie denken nur daran, den Konsum schneller und einfacher zu machen. Echte Innovationen bieten die meisten von ihnen nicht. Die Jungen klagt diese Unkultur zu Recht an“, kritisiert Weizsäcker.

„Ruhe und Langsamkeit belohnen“

Um aus der Kultur der unaufhörlichen Beschleunigung auszubrechen, muss laut Weizsäcker deren Rahmen verändert werden. „Wir brauchen ein Anreizsystem, das Ruhe und Langsamkeit belohnt. Wir brauchen eine ökologische Steuerreform, durch die Umweltzerstörung teurer wird. Umweltschonende Maßnahmen dagegen müssen billiger werden. Dann werden sich genau die gleichen Industrieführer umstellen, die momentan für den Klimawandel verantwortlich sind“, meint der Ehrenpräsident des Club of Rome.

Weizsäcker zufolge hat die Jugend von heute eine echte Chance, diese Veränderung in die Wege zu leiten. „Sie können den Druck auf die Gesellschaft so erhöhen, dass die Politik nicht nur darauf reagieren muss, sondern auch einen Vorteil daraus gewinnt, auf ihre Wünsche einzugehen.“

Jugend braucht „eisernen Willen“

In seiner eigenen Jugend hat sich Weizsäcker wie die „Fridays for Future“-Generation dazu entschieden, den damaligen Status quo nicht mehr zu akzeptieren. „Früher waren viele Menschen der Meinung, dass es ohne Umweltverschmutzung nicht geht. Ich wollte daran etwas ändern und habe mich politisch dagegen engagiert. Es war nötig, aus diesem Jetzt-Zustand auszubrechen. Heute ist es wiederum vielerorts akzeptiert, dass die Wirtschaft ohne Beschleunigung nicht funktioniert. Auch diese Haltung gilt es zu überwinden.“

Im vergangenen Jahr hat Weizsäcker Greta Thunberg und Vertreterinnen ihrer Bewegung in Lausanne getroffen, was ihn sehr beeindruckt hat. „Das ist eine Bewegung, die sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern auch zuhören kann. Wir können alle ein Stück Bescheidenheit von ihr lernen. Aber auch ihr eiserner Wille und ihre Weigerung zu kapitulieren, haben mir sehr imponiert“, sagt der Umweltwissenschaftler.

Ernst Ulrich von Weizsäcker wird am Donnerstag, 28. Mai 2020, den Eröffnungsvortrag bei den Europäischen Toleranzgesprächen im Kärntner Bergdorf Fresach zum Thema „Exodus – Auszug aus dem Vertrauten. Oder: Was der Klimawandel mit uns zu tun hat“ halten. In seiner Keynote wird er auch darauf eingehen, wie der Exodus aus dem fossilen Zeitalter gelingen könnte.

Weizsäcker war Professor für Biologie an der Universität Essen, Präsident der Universität Kassel, Direktor des UNO-Zentrums für Wissenschaft und Technologie in New York, Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik Bonn und Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Von 2012 bis 2018 war er Co-Präsident des Club of Rome, seit vielen Jahren engagiert er sich in der Evangelischen Kirche, bei den Vereinten Nationen und dem World Future Council.