Zum 200. Geburtstag hat Bischof Michael Bünker den evangelischen Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen gewürdigt. Der Begründer des Genossenschaftswesens wurde genau vor 200 Jahren am 30. März 1818 im Westerwald in Hamm an der Sieg (D) geboren.
Raiffeisen, der aus einfachen Verhältnissen stammte und mit 27 Jahren Bürgermeister einer Gemeinde im Westerwald wurde, habe sich den Ausspruch Jesu „Was ihr einem dieser geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ zum Lebensmotto genommen. Seine „tief religiöse, sehr evangelische Prägung“ habe er durch seine Mutter und den Ortspfarrer, der auch sein Taufpate war, erhalten, erinnert der evangelisch-lutherische Bischof. Als junger Bürgermeister habe er die Probleme der Landbevölkerung vor allem im Hungerwinter 1846/47 kennengelernt. Der Einsatz für die Armen und die Verlierer der wirtschaftlichen Entwicklung waren für ihn das „Evangelium unserer Tage“, so Bischof Bünker. Er sei überzeugt gewesen, dass „die Armen keine Almosen verdienen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe“.
Raiffeisen ließ Korn anliefern, das er auf Kredit kaufte. Er gründete einen „Brodverein“, in dem sich diejenigen, die noch etwas hatten, verpflichteten für die Kredite zu haften, mit denen Korn für diejenigen gekauft wurde, die bereits mittellos waren. Später kamen dann die Darlehensgenossenschaften, Sparvereine und Kreditbanken dazu. Grundprinzip war: Alle sind gleichberechtigte Mitglieder, egal, ob sie zu denen gehörten, die etwas geben konnten, oder zu denen, die auf die Unterstützung und Solidarität angewiesen waren.
Als tief religiöser Mensch habe Raiffeisen seine Arbeit nicht nur auf die wirtschaftlichen Fragen begrenzt, sondern die Schulbildung und die Infrastruktur gefördert. Neben Raiffeisen sei auch an Hermann Schulze-Delitzsch zu erinnern, der zur gleichen Zeit seine genossenschaftlichen Sparvereine aufbaute, aus denen später die Volksbanken hervorgingen.
Beide – Raiffeisen wie Schulze-Delitzsch – standen der Kirche sehr kritisch gegenüber. „Der eine – Raiffeisen – weil sie ihm zu wenig fromm und zu verweltlicht war, der andere, weil sie ihm zu konservativ und zu wenig fortschrittlich war“, sagt Bünker. Die Genossenschaftsidee habe sich durchgesetzt und über die ganze Welt verbreitet. 2016 wurde die Genossenschaftsidee in das immaterielle Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen. „Heute blüht die Genossenschaftsidee wieder auf und umfasst Kultur- und Kunstnetzwerke ebenso wie Genossenschaften für erneuerbare Energien“, so Bünker weiter. Die Grundprinzipien seien dabei immer dieselben: „Menschen organisieren ihre Anliegen gemeinsam. Sie jammern nicht über die politischen Verhältnisse, sondern gestalten sie selbst. Sie interessieren sich nicht an kurzfristigem Profit, sondern setzen auf langfristigen Nutzen für alle. Sie warten nicht, dass ihnen gnadenhalber mit Almosen geholfen wird. Menschen nehmen ihr Leben selbst in die Hand. Soziale Hilfe bewahrt die Würde des Menschen.“