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Man dürfe "nicht tatenlos zusehen", wie die Wiederkehr der Gegensätze und sozialer Ungleichheit "die Maximen und Prinzipien einer modernen Gesellschaft verletzt", forderte der Soziologe Sighard Neckel.
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In Österreich, europaweit und global sind Zeichen von Spaltungen, Angst und sozialer Ungleichheit festzustellen. Die Gesellschaft hat Angst vor sozialem Abstieg und Verlust, die sich in Fremdenfeindlichkeit und Wohlstandsverteidigung zeigen: Das war der gemeinsame Tenor des deutschen Soziologen Sighard Neckel und des römisch-katholischen Pastoraltheologen Paul M. Zulehner zu Beginn der Ökumenischen Sommerakademie in Kremsmünster zum Thema „Die gespaltene Gesellschaft“ am Mittwoch, 10. Juli. Die 21. Sommerakademie thematisiert heuer die Rolle der Kirchen bei der Überwindung gesellschaftlicher Spannungen und Spaltungen. Eröffnet wurde sie Linzer Generalvikar Severin Lederhilger, dem evangelischen Superintendenten Gerold Lehner, sowie Landeshauptmann Thomas Stelzer.

Die wahrnehmbare Spaltung in der Gesellschaft führte Neckel in seinem Eröffnungsvortrag auf den „gravierenden Wandel in der sozialen Ungleichheit“ westlicher Länder zurück. So stünden die Privilegien vermögender Kreise der Armut, der Isolation und den unsicheren Arbeitsverhältnissen ärmerer Schichten gegenüber. Als Beispiel nannte der Professor für Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel an der Universität Hamburg die „Kluft zwischen Spitzengehältern und normalen Arbeitseinkommen“. So habe sich das Verhältnis der Vorstandsgehälter in börsennotierten Unternehmen zu den Durchschnittsgehältern von 2003 bis 2017 um 208 Prozent gesteigert, während bei mittleren Einkommen nur ein Anstieg von 32 Prozent zu verzeichnen gewesen sei. Ähnliches bemerkte Neckel bei „leistungslosen Vermögensübertragungen“, wie Erbschaften, die im Gegensatz zum Arbeitseinkommen kaum bis gar nicht besteuert werden würden.

All das führe zu einer zunehmenden Ungleichheit, die sich auch in der sinkenden Zustimmung zur Demokratie abzeichne, konstatierte der Soziologe. Die Gesellschaftspolitik müsse nun dringend handeln, forderte Neckel abschließend. Man dürfe „nicht tatenlos zusehen“, wie die Wiederkehr der Gegensätze und sozialer Ungleichheit „die Maximen und Prinzipien einer modernen Gesellschaft verletzt.“

Zulehner: „Kultur des Vertrauens“

Einen positiven Ausweg aus einer entsolidarisierten „Kultur der Angst“, zeichnete der Pastoraltheologe Zulehner in seinem Vortrag. Einen wesentlichen Beitrag dazu würden die Kirchen leisten, die der angstvollen Grundstimmung in Europa eine „Kultur des Vertrauen“ entgegensetzen würden. Auslöser einer entsolidarisierten „Kultur der Angst“ in Europa seien die Umbrüche der jüngsten Vergangenheit gewesen, wie die Finanzkrise 2008 oder die Ankunft schutzsuchender Menschen aus Kriegsgebieten des Nahen Ostens. All das hätte zu Unsicherheit, Abstiegsängsten, Hass und Fremdenfeindlichkeit geführt, die noch dazu von Seiten der Medien und Politik verstärkt worden seien, kritisierte Zulehner.

Kein Ausweg aus der Misere sei es aber, gegen die Angst anzukämpfen, warnte der emeritierte Professor für Pastoraltheologie. Vielmehr gelte es „das Vertrauen so zu stärken, dass es die Oberhand über die Angst gewinnt“. Ziel müsse sein „den Zugang zum Urvertrauen freizulegen“. Dabei könnten auch die christlichen Kirchen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, indem sie auf ihre „religiöse Kernkompetenz“ zurückgreifen und an einen liebenden Gott als Quelle des Urvertrauens erinnern. Kirchen könnten so zu „Oasen ausufernden Vertrauens“ werden, zeigte sich Zulehner überzeugt und sprach abschließend von einem „göttlichen Rückenwind“, der „das Land zu einer Kultur und Politik des Vertrauens beflügeln“ könnte.

Die christliche Überzeugung von der allen Menschen gemeinsamen Geschöpflichkeit ist laut dem evangelischen Superintendenten in Oberösterreich, Gerold Lehner, geeignet, eine Klammer über Gegensätze hinweg zu bilden. Der Glaube an die damit gesetzte Einheit und Verbundenheit sei „zugleich versehen mit einem herausfordernden Realitätsbezug, der sich gerade in Spannungen und Spaltungen bewähren soll“. Das unterstrich Lehner unter Verweis auf die biblische Bergpredigt. „Auch der Feind ist noch immer Gottes Geschöpf und hört nicht auf, es zu sein“, Christen dürften sich daher nicht in Blasen zurückziehen, in denen sie unter sich blieben, mahnte der Superintendent.

Stelzer: Politik heißt, Menschen zusammenführen

Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer bekannte sich zu einer Politik, die Menschen und Interesse zusammenführt. Dafür gebe es kein Patentrezept, aber es gelte zu akzeptieren, dass es in der Gesellschaft Gegensätze und Widersprüche gebe. Zugleich müssten jedoch die Rahmenbedingungen klar sein und „nötigenfalls eingefordert bzw. verteidigt werden“, betonte der Landespolitiker. Als Beispiele nannte er „unverrückbare und unhinterfragbare Prinzipien wie die Menschenrechte oder ein demokratisches Staatsgefüge“.

Die ökumenische Sommerakademie in Kremsmünster findet 2019 zum 21. Mal statt. Seit dem Jahr 1999 beschäftigt sie sich mit Fragen, „die die Menschen aktuell bewegen“, so die Veranstalter in einer Aussendung. Die Themen der letzten Jahre waren unter anderem Digitalisierung (2018), Reformation (2016) oder das Verhältnis von Religion und Gewalt (2014). Veranstaltet wird das mehrtägige Forum von der Katholischen Privat-Universität Linz, der Kirchenzeitung der Diözese Linz, dem Evangelischen Bildungswerk Oberösterreich, dem Land Oberösterreich, dem Ökumenischen Rat der Kirchen, den Religionsabteilungen des ORF sowie dem Stift Kremsmünster.