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In Konflikten geht es oft um ganz andere Dinge, als es zunächst den Anschein hat.
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Schule, Arbeit und Freizeit – alles unter einem Dach, so sah der Alltag in den letzten Wochen für viele Familien aus. Dabei waren Konflikte natürlich vorprogrammiert. Das zeigen auch die ersten Umfragen, die dazu durchgeführt wurden. Leo Tolstoi, der weltberühmte russische Schriftsteller sagte einmal: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie jedoch ist auf ihre eigene Art und Weise unglücklich.“ Ist das tatsächlich so? Und wenn ja, worin gleichen glückliche Familien einander? Wahrscheinlich darin, dass alltägliche Konfliktsituationen bei ihnen nicht zu unüberbrückbaren Hindernissen werden. Denn wo immer mehrere Personen auf engem Raum miteinander Leben, sind Konflikte von vornherein unvermeidlich und letztlich normal, denn sie gehören zum Leben einer Familie. Das ergibt sich schon allein dadurch, dass unterschiedliche Meinungen, Charaktere und Eigenschaften aufeinandertreffen.

Prof. Dr. Ulrich Giesekus, Professor für Psychologie und Counceling an der Internationalen Hochschule Liebenzell, erklärt in einem seiner Vorträge im Thema-des-Monats-Podcast, dass Konflikte, auch wenn sie an scheinbar belanglosen Dingen aufbrechen, zumeist eine tiefer liegende Ursache auf der Beziehungsebene haben. Deshalb ist es auch bei deren Aufarbeitung immer ratsam, zuerst an die Beziehungsebene zu denken. Wenn nämlich auf der Ebene der Beziehung Schwierigkeiten, Verletzungen und Missverständnisse als Ursachen des Streits aus dem Weg geräumt sind, spielen die Auslöser des Konflikts oft gar keine Rolle mehr.

Eines der größten Hindernisse in Beziehungen ist freilich, dass nicht konkret ausgesprochen wird, welche Dinge den Umgang miteinander belasten. Das bedeutet, dass in Beziehungen zumeist nonverbal kommuniziert wird, d.h. es kommt nur unterschwellig zum Ausdruck, was eigentlich ausgesprochen werden müsste. Vielleicht über Mimik, Gestik oder über eine ganz andere, individuelle Form nonverbaler „Kommunikation“. Wie so eine nonverbale Kommunikation verstanden werden kann, folgt natürlich keinen einheitlichen Regeln, sondern muss individuell von jedem einzeln „decodiert“ werden. Das gilt insbesondere in einer Ehe oder in der Familie. Nonverbale Kommunikation ist zudem auch sehr kulturabhängig. Jeder Ehepartner ist irgendwie davon geprägt, wie in seinem Elternhaus kommuniziert wurde. Er muss also zuerst einmal die „Sprache“ des jeweils anderen lernen. Nur so kann er vor allem das, was nonverbal kommuniziert wird, auch verstehen und einordnen. Das alles verlangt Zeit und Geduld. Aber gerade diese Form von Geduld möchten viele nicht aufbringen, was oft einer der Gründe sein mag, dass ihre Beziehungen daran scheitern.

Eine andere Hilfe, sich besser zu verstehen, ist, Konflikte am richtigen Ort und zur richtigen Zeit anzusprechen und auszutragen. Kurz vor dem Zubettgehen einen Streit vom Zaun zu brechen, ist sicher nicht der richtige Moment. Einen Streit in der Öffentlichkeit auszutragen, wo andere Menschen zuhören können, ist ebenfalls nicht weise. Zwar gehören Konflikte und Streit zu jeder „normalen Beziehung“, aber sie gehören nicht in die Öffentlichkeit. Deshalb müssen wir auch lernen, sie weise und in Liebe auszutragen. Nur so können sie uns helfen, sodass wir daran auch wachsen und reifen können. „Eisen schärft Eisen; ebenso schärft ein Mann den anderen“, sagte schon der weise König Salomo (vgl. Sprüche 27,17). Wer im Leben weiterkommen möchte, reibt sich am besten an den Eigenarten des anderen – und lernt dabei auch viel über sich selbst. Optimalerweise geschieht das in einer gut funktionierenden Ehe und Familie. Probieren Sie es aus, es lohnt sich.

Näheres dazu im Podcast mit Prof. Dr. Ulrich Giesekus. Es ist der zweite Teil einer Serie zum Thema des Monats „Miteinander reden – nur wie?“ des ERF Südtirol.