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Der türkischstämmige deutsche Fußballspieler Mesut Özil gab seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft über Twitter bekannt.
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Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM/Frankfurt am Main) hat sich kritisch zu den Aussagen des türkischstämmigen deutschen Fußballspielers Mesut Özil (London) geäußert. Özil hatte dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in London Mitte Mai bei einem Fototermin ein Trikot seines englischen Vereins Arsenal London überreicht. Zu der Kritik daran hatte er bislang geschwiegen. Nun äußerte er sich in drei über Twitter verbreiteten Stellungnahmen. Darin gab Özil seinen Rückzug aus der deutschen Fußballnationalmannschaft bekannt, solange er dort „Rassismus und Respektlosigkeit“ empfinde, und verteidigte das Foto mit Erdogan. Seine Mutter habe ihn gelehrt, nie zu vergessen, wo er herkomme: „Bei dem Foto mit Präsident Erdogan ging es nicht um Politik, sondern um Respekt vor dem höchsten Amt des Landes meiner Familie.“ Ferner beschuldigte er den Verbandschef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB/Frankfurt am Main), Reinhard Grindel, des Rassismus: „In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren.“

IGFM-Vorstandssprecher: In der Türkei wird Özil seit Wochen gefeiert

IGFM-Vorstandssprecher Martin Lessenthin bedauerte gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea, dass Özil sich nicht von dem Foto distanzierte. Er verdränge damit weiterhin, dass Erdogan das Land in eine islamistische Diktatur verwandle: „Leider ignoriert Özil bis heute die tausendfachen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Er interessiert sich nicht für die Opfer, sondern hat jemanden als Fotomodell und Wahlkampfhelfer gedient, der seine eigene Macht, den politischen Islam und seine religiösen Vorschriften höher hält als Demokratie und Menschenrechte.“ Özil versuche mit seiner Stellungnahme, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Das zeigten türkische Medienberichte, die ihn bereits seit Wochen für das Foto feierten und lobten: „Der Zeitpunkt des Fototermins war von der Türkei politisch genau so gewollt. Es war Wahlkampfhilfe für Erdogan.“ Bei der Wahl am 24. Juni hatte Erdogan 52,6 Prozent der Stimmen auf sich vereint. In Deutschland erzielte er bei einer Wahlbeteiligung von 49,7 Prozent ein noch besseres Resultat (65,7 Prozent). Der türkische Justizminister Abdulhamit Gül schrieb nun, Özil habe mit seinem Rücktritt das „schönste Tor gegen den faschistischen Virus geschossen“. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin lobte Özils Begründung für das Treffen Medienberichten zufolge auf Twitter: „Aber stellen Sie sich vor, welchem Druck Herr Mesut in diesem Prozess ausgesetzt war. Wo sind Höflichkeit, Toleranz, Pluralismus geblieben?!“

Über gelingende Integration diskutieren

Erstaunlich ist laut Lessenthin ferner, dass sich Özil in seiner Erklärung auf die Werte beziehe, die seine Mutter ihm vermittelt habe. Das sei im türkischen Kulturkreis eher unüblich. Dadurch werde deutlich, dass Özil die Auseinandersetzung mit seinem Vater Mustafa weiterführe, zu dem er seit längerem kaum Kontakt habe. Nachdem er das Foto gesehen hatte, hatte der Vater der „Bild am Sonntag“ gesagt, dass er es für „keine so gute Idee“ halte. Lessenthin sieht die aktuelle Debatte auch als Chance, in Deutschland künftig offener und breiter über das Thema Integration zu diskutieren, für die Gleichberechtigung der Frau einzutreten und nach Lösungen zu suchen, wie echte Integration gelingen könne. Es werde noch viele Anstrengungen brauchen, um sie voranzutreiben: „Das geht nur langfristig über sinnvolle Bildungsangebote, die dann auch wahrgenommen werden. Wer aber in der dritten Generation privat nur türkisch spricht, in seiner Wohnung nur türkisches Fernsehen schaut und sich in einer Parallelgesellschaft eingerichtet hat, tut sich selbstverständlich damit schwer.“

Integrationsbeauftragte: Berechtigte Kritik ja, pauschale Abwertung nein

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), schrieb auf Twitter, „bei allem Verständnis für die familiären Wurzeln“ müssten sich Spieler der Fußballnationalmannschaft aber auch Kritik gefallen lassen, „wenn sie sich für Wahlkampfzwecke hergeben“. Sie dürfe aber „nicht in eine pauschale Abwertung von Spielern mit Migrationshintergrund umschlagen“. Der Vorsitzende der Jungen Union, Paul Ziemiak (CDU), warf Özil gegenüber der Tageszeitung „Bild“ Naivität vor: „Niemand Vernünftiges will, dass Mesut Özil seine Herkunft verleugnet. Aber zu behaupten, dass ein Foto mit Erdogan – mitten im türkischen Wahlkampf – ohne politische Absichten entstanden sei, ist naiv.“

Grünen-Bundestagsabgeordneter: Özils Foto bleibt falsch

Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) bezeichnete es auf Twitter ein „Alarmzeichen, wenn sich ein großer, deutscher Fußballer wie Mesut Özil in seinem Land wegen Rassismus nicht mehr gewollt und vom DFB nicht repräsentiert fühlt“. Der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, schrieb ebenfalls auf Twitter, Özils Foto bleibe falsch und seine Erklärung überzeuge nicht: „Mindestens so desaströs ist das agieren der DFB-Spitze. Grindel zerhackt unsere Integrationsgeschichte. Wollen die, dass bald junge Deutsch-Türken für Erdogan spielen?“ Der DFB brauche einen Neubeginn.