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Für den Journalisten waren viele Weihnachtsgottesdienst zu politisch.
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Für kontroverse Debatten in den sozialen Medien sorgt derzeit die Kritik eines führenden Journalisten an vielen Weihnachtspredigten. Der Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“, Ulf Poschardt (Berlin), hatte sie als zu politisch kritisiert. „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht”, schrieb er auf Twitter. Der Vorsitzende der Jury des Deutschen Predigtpreises, Prof. Reinhard Schmidt-Rost (Bonn), sagte auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea, er habe den Eindruck, viele Prediger unterforderten die Hörer tatsächlich seit langem intellektuell immer wieder: „Ein deprimierendes Beispiel dafür habe ich gestern Abend im Berliner Dom erleben müssen, wo der Prediger – ein namhafter Theologe – über Klischees vom Kind in der Krippe nicht hinauskam; eine differenzierte Deutung des Predigttextes hätte die Herausforderung des Evangeliums für jede Gegenwart zur Sprache bringen können, ja müssen – unabhängig von der politischen Position.“ Der Predigtpreis wird seit 2000 jedes Jahr am Buß- und Bettag verliehen. Der Stifter – der Verlag für die Deutsche Wirtschaft – will damit die Redekunst in den Kirchen fördern.

Rheinischer Pfarrverein: Dass die Welt im Argen liegt, hören Sie auf jeder Party

Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Rheinischen Pfarrvereins, Friedhelm Maurer (Gemünden/Hunsrück), wird es wie Poschardt vielen Menschen mit der Predigt an Heiligabend gehen. „Aber viele protestieren nicht laut, sondern stimmen mit den Füßen ab und bleiben leider im nächsten Jahr schlicht zuhause“, sagte er idea. Das Problem sei in der Tat, „dass die frohe Botschaft, dass der Heiland Jesus Christus als Gottes Sohn allen Menschen zugute geboren ist, nicht mehr so zur Sprache gebracht wird, dass sie gerade in den Dunkelheiten dieser Welt zum Leuchten kommt“. Während seines Theologiestudiums habe ihn ein Satz des damaligen Wuppertaler Oberbürgermeisters Johannes Rau geprägt. Er habe sinngemäß gesagt: „Dass die Welt im Argen liegt, hören Sie auf jeder Party spätestens nach dem dritten Glas, aber dass sie die durch Jesus Christus gerettete Welt ist, müssen Sie in der Predigt der Welt sagen!“ Leider habe in der „Kirche des Wortes“ das Engagement um die Predigt weder in Ausbildung noch in Fortbildung einen besonderen Stellenwert: „Daher wird landauf landab schlecht gepredigt, so dass Menschen enttäuscht die Kirche verlassen.“

Grüne: Für Poschardt scheint Nächstenliebe eine „links-grün-versiffte Marotte“ zu sein

Neben Zustimmung erntete Poschardt auch Kritik für seine Aussagen. So schrieb etwa die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Simone Peter: „Dann sollte ich tatsächlich mal wieder in eine Christmette gehen. Hört sich gut an. Und Einmischung brauchen wir mehr denn je bei Ungleichheit, Abschottung, Klimakrise.” Die Sprecherin der Grünen Jugend, Ricarda Lang, erklärte gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Humanität sei für ihre Partei ein gesamtgesellschaftlicher Anspruch: „Für Ulf Poschardt scheint Nächstenliebe hingegen eine links-grün-versiffte Marotte für Jusos und GRÜNE Jugend zu sein.” Poschardts Tweet sei „gehässig“. Sie bot ihm an, einmal bei den Grünen vorbeizukommen. Auch aus der SPD kam Kritik an Poschardts Äußerungen. „Wer nichts zu Krieg und Frieden, Not und Gerechtigkeitsfragen, Hunger und Flüchtlingen hören will, sollte die Weihnachtsgottesdienste der christlichen Kirchen wohl besser meiden”, schrieb SPD-Politiker Ralf Stegner.