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Endet die Religionsfreiheit als Teil der Menschenrechte vor den Türen des Österreichischen Parlaments?
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Eine halbe Millionen Österreicherinnen und Österreicher ziehen prozessierend und betend um den innerstädtischen Ring. Allen voran der Bundeskanzler und sein Außenminister, die das Volk dazu auch noch ermutigen. Skandalös! Was nach dem nächsten religiös motivierten, politischen Eklat klingt, wonach Rufe laut werden für die strikte Trennung von Kirche und Staat, nach „brüskiertem Pluralismus und förmlich nach der Machtergreifung von reaktionärem Katholizismus“ riecht, ist nichts weiter als ein historischer Fakt!

1955 ziehen die beiden viel gerühmten Gründerväter unserer österreichischen Republik, Bundeskanzler Leopold Figl und Außenminister Julius Raab mit den Menschenmassen um den Ring und beten(!) an vorderster Front in dem vom Franziskaner Pater Petrus Pavlicek im Jahre 1947 gegründeten „Rosenkranz Sühnekreuzzug“. Das deklarierte Ziel der Gebete war die Befreiung Österreichs von der damaligen russischen Besatzungsmacht. Es ging um viel und der Weg zur Freiheit und Unabhängigkeit der Republik Österreich, die mit dem Staatsvertrag besiegelt wurde, war ein steiniger. Raab und Figl hatten zuvor in 354 erfolglosen und mühsamen Verhandlungsrunden in Moskau zu kämpfen, bis es zum Moskauer Memorandum kam, welches dann in den Staatsvertrag mündete, der am 15. April 1955 glorreich unterzeichnet wurde. Der geschichtsträchtige Moment, als Kanzler Figl den Staatsvertrag der Menschenmenge vom Balkon des Schlosses Belvedere präsentierte, hat sich in das nationale Gedächtnis eingebrannt. Das Umdenken der Sowjets, das hierzu führte war doch wundersam, zumal Österreich das einzige Land blieb, aus denen sie sich aktiv zurückgezogen hatten, bis zur Wende im Jahre 1989.

Historischer Zufall? Taktisches Kalkül der Besatzungsmacht, oder gar göttliches Eingreifen? Die Ansichten, wer oder was für diesen historischen Wandel verantwortlich war, mögen differieren, Bundeskanzler Raab machte jedoch keinen Hehl daraus, wem er dafür danken musste, als er öffentlich bekundete:  "Wenn nicht so viel gebetet worden wäre, so viele Hände in Österreich sich zum Gebet gefaltet hätten, so hätten wir es wohl nicht geschafft". Auch zu den Verhandlungen im Vorfeld ließen die österreichischen Spitzenpolitiker verlautbaren, dass es das Gebet war, dass sie bei jenen Verhandlungen in Moskau gestützt und getragen hatte.

Wenn ein Nationalsratspräsident heute zum interfraktionellen, ökumenischen Gebet aufruft, weil das Land sich erneut in einer schweren Krise befindet und dieses ausnahmsweise nicht in einem designierten Gotteshaus stattfindet, überschlagen sich die Kommentare der Empörung und des Entsetzens, wie man sich bloß erdreisten kann, in einem neutralen und säkularen Staat im Parlament zu beten. Was genau ist denn so bedrohlich an einem Adventsgebet, welches Licht und Hoffnung vermitteln sollte, mitten in einer pandemischen Krisenzeit? Können tatsächlich zehn Abgeordnete und eine Handvoll Geistlicher mit Fürbitten unsere gesamte Demokratie aus den Angeln heben und zu Fall bringen? Bedeutet es das Ende der Republik, wie wir sie kennen, wenn Politiker offen zu ihrem christlichen Glauben stehen und diesen in Zeiten der Not auch bekunden? Allen menschlichen Fehlern im Namen der Religion zum Trotz: müssen wir uns als Nation tatsächlich für unsere judeo-christlichen Wurzeln schämen, die, wie leider zu selten dargestellt, oftmals die Triebfeder für positive gesellschaftliche Entwicklungen waren hin zu dem humanitären, sozialen Staat den wir heute kennen und schätzen? Doch schämen taten sie sich! Wie auch die vorherigen, war das parlamentarische Gebet als  grundlegend überparteiliche Veranstaltung geplant. Abgeordnete aller Fraktionen wurden dazu eingeladen und es gab fixe Zusagen von Mitgliedern der Grünen, NEOS und den Sozialdemokraten, die aber nach der ersten kritischen Berichterstattung ihre Teilnahme umgehend zurückzogen, unter anderem mit fadenscheinigen Begründungen, wie, sich nicht vereinnahmen und instrumentalisieren lassen zu wollen. Die Angst vor vermeintlichem medialen Gesichtsverlust und Imageschaden war anscheinend größer als ihr Glaube und lieber zerstörten sie hierfür den überparteilichen Charakter der gesamten Veranstaltung, welches den Organisatoren so wichtig war für die Abhaltung der Feier, als zu ihrem Wort zu stehen.

Vermutlich hat das Gros derjenigen, die besagte Gebetsfeier heftig kritisiert haben, recht voreingenommen der Veranstaltung gar nicht erst beigewohnt und konnte sich demnach kein Urteil darüber bilden, wie ermutigend und berührend die einzelnen Beiträge waren, und das breite, bunte Spektrum an christlichen sowie jüdischen Glaubensformen wertschätzen.

Denn warum sollten der Glaube und die Religion keinen Halt geben in krisengebeutelten Zeiten? Laut einer online Umfrage in der Presse vom 09.12., an der sich mehr als 10.000 Personen beteiligten, hielten rund 80% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer das parlamentarische Adventsgebet am 08.12. für eine „schöne Idee“. 

Der Glaube ist also noch nicht ausgestorben in unserem Land und Gebet spricht vielen Menschen auch heute noch aus der Seele.  Einen so großen Teil der Gesellschaft, sowie gläubige Politiker mit harschen, diskriminierenden Worten ins Lächerliche zu ziehen und niederträchtige Motive zu unterstellen zeugt weder von respektvollem Umgang mit den religiösen Gefühlen anderer, noch von gelebter Toleranz

Als glanzvolles Beispiel einer solchen Diffamierung sei hier die Verharmlosung der 2. Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) angeführt, wenn sie vor „schmerzlichen historischen Erfahrungen des Landes… in der brutalen Instrumentalisierung von Kirche und Glauben durch das NS-Regime“ im Zusammenhang mit der Gebetsfeier warnt. Eine Unterstützung des NS Regimes durch Kirche und Glaube ist in großen Teilen unwahr, und in Wirklichkeit eine Instrumentalisierung der Geschichte durch Frau Bures. Sie attribuiert den Betenden „politische Wahnvorstellungen“ und fordert gleichzeitig Sensibilität: Eine Tugend, die sie selbst damit eindeutig nicht vorlebt.  

Altkanzler Figl und der ehemalige Außenminister Raab, würden sich vermutlich ungläubig im Grabe drehen, könnten sie der heutigen entflammten Debatte folgen über ein Gebet im Parlament zur Adventszeit. Sie würden sich fragen, wie sich nach nur zwei Generationen eine solch vehemente antiklerikale und religionsablehnende Haltung in der Gesellschaft überhaupt breit machen konnte. Jeder Mensch hat das Recht auf die freie Ausübung seiner oder ihrer Religion, egal ob Politiker oder einfacher Staatsbürger, und wenn Rufe laut werden, dieses Recht zu untergraben oder einzuschränken, sollten bei allen freiheitsliebenden Menschen die Alarmglocken schrillen.

Unser vielgeprüftes Österreich wurde nach den Jahren des Kriegs und der Besatzung wiederaufgebaut von Menschen, die geglaubt und gebetet haben, allen voran führende Leiter der Regierungsspitze. Wenn wir heute meinen, all das Gute erhalten zu können, von dem wir immer noch profitieren, das in den vergangenen 70 Jahren geleistet wurden, ohne das entsprechend zugrundeliegende Wertefundament, wird uns die Geschichte erneut Lügen strafen. Nach den vielen erfolglosen, menschlichen Eindämmungsversuchen, sollte es daher kein Frevel sein, dass hochrangige Politikerinnen und Politiker unseres Landes das pandemiemüde Volk dazu aufrufen, den Allmächtigen anzuflehen, Österreich und auch die Welt von der unnachgiebigen „Besatzungsmacht des Coronavirus“ zu befreien. Sie stünden hierbei in guter Tradition.

Darf im Parlament gebetet werden? Um Gottes Willen, ja!