page-header
Sigrid Rettenbacher (Fundamentaltheologin, Ass.-Prof.in am Institut für Moraltheologie an der Katholischen Privat-Universität Linz), 4. Ulrich Winkler Lecture, Katholisch-Theologische Fakultät, Paris-Lodron Universität Salzburg, Salzburg, 2. Juni 2022
Anzeige

Kirche auch heute von den Rändern her und ohne Angst anders zu denken, "weil das die Kernbotschaft unseres Glaubens trifft": Dazu hat Sigrid Rettenbacher, Fundamentaltheologin an der Katholischen Privat-Universität Linz, am Donnerstagabend anlässlich der vierten "Ulrich Winkler Lecture" an der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg im Kathpress-Interview ermutigt. Die Geschichte Jesu habe mit einer Geburt im Stall, mit einer jungen, unbedeutenden Frau begonnen und mit einem Kreuz geendet, womit im Christentum Ohnmacht und Marginalisierung seit jeher eine große Rolle gespielt hätten, so Rettenbacher.

"Auch, wenn ich das Ungesagte oder Ausgeschlossene zum Thema mache, hat Kirche Zukunft", betonte Rettenbacher. Die Religionstheologie, den systematischen Zugang, der danach fragt, was es braucht, um offen auf andere Religionen zugehen zu können, sieht Rettenbacher als Voraussetzung dafür, dass Kirche erst zukunftsfähig wird. Die Theologin ermutigt dazu, die Angst zu nehmen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und ruft dazu auf, sich diesen Dingen unbefangen zu stellen, mit ergebnisoffenem Ausgang.

Die im Vortrag aufgegriffene Trias "Unsagbares. Ungesagtes. Unsägliches", rühre Themen an, die die Menschen umtreiben, zeigte sie sich überzeugt. Um dem Glaubwürdigkeitsproblem der Kirche etwas entgegenzusetzen, müssten offene Fragen der Menschen bewusst aufgegriffen werden. In Hinblick auf religiöse Pluralität nimmt Rettenbacher nach wie vor viele Vorurteile wahr. "Begegnungen können helfen, die Angst zu nehmen." Grenzen von Identitäten könnten sich verschieben und würden immer wieder ausverhandelt.

Die "Macht der Sprache"

"Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug der Theologie - der Rede von Gott", zeigte sich Rettenbacher überzeugt. Das Reflektieren des unsagbaren göttlichen Geheimnisses stehe dabei immer in der Spannung von dem, was gesagt werden könne, und dem, was unsagbar bleibe. Der Moment der Differenz sei deswegen in das christliche Selbstverständnis eingeschrieben, auch wenn der kirchliche Identitätsdiskurs vor allem auf Einheit abziele, sagte die Theologin.

Ein Fokus der Forschung liege auf Identitätsfragen, die ebenfalls ein Produkt diskursiver Ausverhandlungsprozesse - "wir" vs. "die Anderen" - seien, erklärte Rettenbacher. Dabei spielten auch Machtfragen eine Rolle: Wer hat im Diskurs eine Stimme? Wer wird nicht gehört? Welche Themen werden überhaupt besprochen und welche Themen werden lieber verschwiegen?

Ulrich Winkler Lectures

Die "Ulrich Winkler Lectures" sind eine Vortragsreihe im Gedenken an den verstorbenen Salzburger Dogmatiker Ulrich Winkler (1961-2021). Er war Assoziierter Professor am Fachbereich für Systematische Theologie und Mitgründer des Zentrums für Theologie Interkulturell und Studium der Religionen und Gaststudent am "Center for the Study of World Religions (CSWR)" der Harvard University. Von 2016 bis 2019 hielt er den Laurentius Klein Lehrstuhl für Biblische und Ökumenische Theologie am "Theologischen Studienjahr Jerusalem" und war Dekan. Seine Forschungsschwerpunkte waren die Religionstheologie und die Komparative Theologie. (Infos: www.plus.ac.at/ztkr/news-events-social-media/bthw2021/ulrich-winkler-lectures)