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Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.
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Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sieht angesichts nach wie vor hoher Austrittszahlen bei beiden Kirchen keinen Anlass zum Beschönigen, aber auch keinen für Alarmismus. Immerhin seien nach wie vor 46 Millionen Menschen in Deutschland Kirchenmitglieder, erinnerte der bayerische Landesbischof am Montagabend in Passau.

Außerdem sind die Zahlen seiner Ansicht nach heute ehrlicher als etwa in den 1950er Jahren. Damals seien die Leute nicht ausgetreten, weil sie gesellschaftliche Sanktionen fürchteten. Heute hätten sie dazu die Freiheit. 2016 traten aus der katholischen Kirche 162.000 Menschen aus, aus der evangelischen 190.000.

Die Herausforderung sei aber, deutlich zu machen, warum es sich auch unter den Bedingungen der Freiheit lohne, Mitglied einer Kirche zu sein, betonte Bedford-Strohm weiter. Der Wert der Frohen Botschaft müsse deutlich werden, und auch die Gläubigen sollten dies ausstrahlen.

Zugleich sei es falsch, Leute, die nach wie vor in der Kirche seien, aber nicht zu den Gottesdiensten kämen, als Heiden zu bezeichnen und den Stab über sie zu brechen. Solche Menschen hätten sich, wie er in Gesprächen immer wieder erfahre, bewusst für diesen Weg entschieden. Eine alle zehn Jahre in der evangelischen Kirche stattfindende Umfrage zeige zudem, dass die Zahl jener, die angeben, sich nicht vorstellen zu können, aus der Kirche auszutreten, kontinuierlich zunehme.

Auch wenn in den westlichen Industrieländern die Distanz zur Kirche wachse und die Säkularisierung zunehme, riet auch Kardinal Gerhard Ludwig Müller, weiter mutig die Frohe Botschaft zu verkünden. Eine Alternative dazu gebe es nicht.

Von der "Heidenrepublik Deutschland" sprach dagegen der Historiker Michael Wolffsohn. Das treffe aber nicht nur die christlichen Kirchen, sondern auch die jüdische Gemeinschaft. In der Gesellschaft spiele Religion eine zunehmend geringere Rolle. Doch die Entwicklung, dass die Leute nicht mehr wüssten, was an Weihnachten oder Pfingsten gefeiert werde, habe in den Industriegesellschaften bereits um 1800 begonnen.

Die Kirchenvertreter und der Historiker äußerten sich bei einer Veranstaltung der Reihe "Menschen in Europa" der Passsauer Neuen Presse.