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Der vielstimmige Appell aus den Kirchen, der Zivilgesellschaft und auch von Teilen der Volkspartei an die regierende türkise ÖVP, Flüchtlinge aus griechischen Lagern in Österreich aufzunehmen, ist bisher auf taube Ohren gestoßen. Der Wiener Theologe Paul Zulehner schlägt dem Kabinett von Bundeskanzler Sebastian Kurz in einem Blog-Eintrag nun einen "humanitären Deal" vor, der aus seiner Sicht in mehrfacher Hinsicht eine "Win-Win-Situation" sein könnte: Für den Fall der Aufnahme von 100 Menschen, vorab Familien mit Kindern, die bereits einen positiven Asylbescheid haben, "bieten Wählende mit Herz und Verstand, aus Gesinnung und Verantwortung, ihren ÖVP-Bürgermeistern, ÖVP-Landeshauptleuten, der Bundes-ÖVP an, ihnen bei der nächsten Wahl die Stimme zu geben", so der Vorschlag Zulehners.

Das würde laut dem Religionssoziologen und Werteforscher den befürchteten Verlust eines Teils der FPÖ-Wanderwählern - die eine rigide Flüchtlingspolitik erwarten - mehr als ausgleichen. Profitieren von einem Einlenken der Bundes-ÖVP würden in erster Linie die betroffenen Familien in den griechischen Lagern. Die ÖVP würde es nicht wenigen Wahlberechtigten erleichtern, "ihrer Wahltradition mit gutem christlichen Gewissen treu zu bleiben". Und schließlich könnte die ÖVP den auf lange Sicht gesehen schädlichen Ruf verlieren, die Menschlichkeit dem Machterhalt zu opfern, schrieb Zulehner. "Man kann menschlich sein und an der Macht bleiben."

Der seit Jahrzehnten mit Wertestudien befasste Theologe zitierte eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), welche Partei am ehesten die Anliegen der eigenen Kirche bzw. Religionsgemeinschaft vertrete. Bei den Vergleichsdaten der Jahre 2010 und 2020 gab es demnach bei der Einschätzung der ÖVP die größte Veränderung: Gaben 2010 noch 60 Prozent der Befragten an, die Volkspartei vertrete die Anliegen der Kirche, so sank dieser Wert zehn Jahre später auf 33 Prozent. Die Daten der anderer Parteien SPÖ (16 im Jahr 2010 bzw. 14 Prozent 2020), der FPÖ (6 bzw. 8 Prozent) und der Grünen (4 bzw. 5 Prozent) blieben im selben Zeitraum weitgehend gleich.

Viele verlieren Vertrauen in "Stammpartei"

Offenbar hätten viele engagierte Christinnen und Christen das Vertrauen in ihre "Stammpartei" verloren, wie umgekehrt Funktionäre der ÖVP den Kirchen und ihren karitativen Einrichtungen misstrauen würden, so die Interpretation Zulehners. "Das Verhältnis erscheint zunehmend zerrüttet", befand der selbst gute Kontakte zur Volkspartei pflegende Zulehner. Er kenne nicht wenige engagierte Katholiken, die bei der jüngsten Nationalratswahl erstmals nicht mehr ÖVP gewählt haben.

Es mag sein, dass ÖVP-Wahlstrategen überzeugt sind, dass die verlorenen Christen inzwischen durch FPÖ-Wählende ersetzt worden sind, mutmaßte Zulehner. Sein Eindruck sei jedenfalls, dass die ÖVP derzeit ihre Flüchtlingspolitik so gestalte, dass die "FPÖ-Wanderer bei der Wahlstange bleiben".

Dennoch hält der Theologe einen Richtungswechsel zugunsten der unzureichend untergebrachten und versorgten Flüchtlinge in Griechenland für denkbar und wünschenswert. "Ein solcher Schritt wäre nicht Nachgeben aus Schwäche, sondern Handeln aus Herzensstärke und politischer Vernunft", schrieb Zulehner. Die "Urväter" als eine christlich-soziale Bewegung gegründeten ÖVP "hätten ihre Freude".

"Das eine tun und das andere nicht lassen"

Dass das von Zulehner kritisierte "Mantra" - nämlich "Helfen vor Ort, aber nicht aufnehmen" - auf immer mehr Kritik in Kirchenkreisen stößt, bestätigte auch die Präsidenten der steirischen Katholischen Aktion, Andrea Ederer, im Gespräch mit Kathpress. Hilfe vor Ort sei wichtig, aber z.B. im Lager Kara Tepe auf Lesbos seien noch keine Container angekommen und auch keine Kinderbetreuung zusammen mit SOS-Kinderdorf eingerichtet worden. Ederer hält somit - wie viele, auch hochrangige Stimmen in der Kirche - eine Evakuierung und Aufnahme eines Flüchtlingskontingents für notwendig. "Das eine tun und das andere nicht lassen", meinte sie zur Hilfe vor Ort und in Österreich.

Derzeit liefen Bemühungen um eine breite Vernetzung von Initiativen und Organisationen aus ganz Österreich und weit über die Kirche hinaus, um die Regierung zum Einlenken zu bewegen, wies die KA-Präsidentin hin. Sie wolle keinem Politiker Betroffenheit über die menschenunwürdigen Zustände in Flüchtlingslagern absprechen und respektiere von Politikern wie dem VP-Landtagsabgeordneten Andreas Kinsky initiierte Spendenaktionen. Aber mit "Standardbriefen und Floskeln" auf Ersuchen um Flüchtlingsaufnahme wolle sich die Zivilgesellschaft nicht abspeisen lassen.

Ederer verwies auch auf in mehreren Städten eingerichtete Solidaritäts-Camps für Flüchtlinge in Griechenland, um die Ernsthaftigkeit und Beharrlichkeit der Hilfswilligen zu unterstreichen. Am Wochenende wurde etwa ein Solidaritäts-Camp für Moria vor dem Linzer Mariendom, u.a. mit Engagierten aus Kirche und Zivilgesellschaft, abgehalten.

Asyl-Umfrage: Stimmung im Land gespalten

Die Stimmung im Land ist gespalten, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft: Wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Gallup-Umfrage für den ORF-"Report" zeigt, folgen 49 Prozent der Österreicher der ÖVP-Linie, Flüchtlingen vor Ort zu helfen und nicht einmal Jugendliche aus Lagern aufzunehmen. 42 Prozent der 1.000 Befragten befürworten die von der Kanzlerpartei bevorzugte Hilfe vor Ort. 47 Prozent wären dagegen bereit, zumindest Kinder ins Land zu lassen.

Sehr klein ist laut der Umfrage mit sieben Prozent die Gruppe jener, die gar nichts für Flüchtlinge tun wollen. Fast jeder Fünfte sei demgegenüber dafür, Flüchtlinge aus den griechischen Lagern aus humanitären Gründen auf jeden Fall aufzunehmen. 15 Prozent würden Kindern mit Familien in Österreich Unterkunft gewähren, 13 Prozent unbegleiteten Jugendlichen. Insgesamt bekomme die Linie der Regierung eine 48-prozentige Zustimmung, berichtete die APA. Auf Missfallen stoße sie bei 40 Prozent, am meisten bei Unter-30-Jährigen und in Westösterreich lebenden Befragten.

(Link: zulehner.wordpress.com)