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Ernste Bedenken nicht nur gegen die Stoßrichtung, sondern auch gegen die Argumentation des Urteils des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur Suizidbeihilfe hat der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, geäußert. Das umstrittene VfGH-Erkenntnis vom 11. Dezember, mit dem das Verbot der Zuhilfenahme bei der Selbsttötung gelockert wurde, mache den Begriff der Menschenwürde zu einer "Leerformel", um damit eine Entscheidung über Leben und Tod zu begründen, schrieb Schipka in der aktuellen Ausgabe der Zeitung des Cartellverbandes "Academia". Dies sei eine "ethisch gefährliche Entwicklung".

Für die Beantwortung der Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Mitwirkung am Selbstmord müsse zuvor unbedingt die Frage geklärt sein, ob Suizid ein ethisch neutrales Scheiden aus dem Leben sei oder nicht, forderte der Schipka, der vor seiner Theologen- und Priesterlaufbahn Assistent am Institut für Strafrecht an der Universität Wien war und später in Regensburg aus Moraltheologie promovierte. Im Unterschied zu Krankheiten und Unfällen ohne Fahrlässigkeit handle es sich dabei nämlich um eine bewusste Handlung eines Menschen, die sich auf das "fundamentale Gut" des Lebens beziehe.

Suizide seien rechtlich nicht verboten, deshalb aber nicht ethisch neutral, hielt Schipka fest. In vielen Bereichen der Gesellschaft werde Suizid als "unerwünscht" angesehen und als etwas, das es nach Möglichkeit zu verhindern gelte. Der Verzicht der Medien auf Berichte über einzelne Suizide - um Nachahmungen zu vermeiden - deute ebenso darauf hin wie die vielen Initiativen zur Suizidprävention. Darüber hinaus gebe es das Recht, andere durch bis zur Nötigung reichende Mittel am Suizid zu hindern, wozu etwa nahe Angehörige oder auch die Polizei sogar verpflichtet seien.

Das Selbstbestimmungsrecht, auf welches sich die Verfassungsrichter in ihrem Urteil besonders bezogen, stehe dazu nicht im Widerspruch: Es verbiete bloß die Bestrafung des Suizids bzw. dessen Versuches, ändere aber die ethische Bewertung dieser Handlung nicht. "Nicht jedes Verhalten, das vom Recht auf Selbstbestimmung gedeckt ist und daher auch nicht verboten werden darf, ist nämlich auch erwünscht oder gut", verwies Schipka auf das Beispiel des übermäßigen Genusses von Suchtmitteln.

Würdige und unwürdige Suizide?

Besondere Kritik äußerte der Theologe und Jurist daran, dass der VfGH als zweite Begründung seiner Erkenntnis die Menschenwürde angeführt habe. Dies geschah u.a. mit der Formulierung eines "Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in Würde", für das man auch Hilfe eines Dritten in Anspruch nehmen dürfe, sowie aus Sorge über "menschenunwürdige Formen der Selbsttötung" durch die gegenwärtige Rechtslage. Dabei hätten die Höchstrichter laut Schipka zwischen einem "menschenunwürdigen" und einem "menschenwürdigen Suizid" unterschieden - und erachteten nicht mehr den Suizid selbst als ethisch bedenklich, sondern nur noch die Art seiner Durchführung.

"Gibt es Tötungshandlungen, die menschenwürdig sind? Kann man davon ausgehen, dass manche Suizidhandlungen menschenwürdig sind und deshalb ein Recht auf sie besteht? Worin besteht dann noch der relevante Unterschied zwischen der Selbst- und der Fremdtötung auf Verlangen, wenn es bloß auf die Art der konkreten Tötungshandlung ankommt?": Solche Fragen und auch die nach Kriterien für die "Menschenwürdigkeit" einer Tötungshandlung - "sofern man dieser Argumentation überhaupt zu folgen bereit ist" - würden sich daraus unweigerlich ergeben, unterstrich der Bischofskonferenz-Generalsekretär.

Begründung dreht sich im Kreis

In der Bezugnahme auf ein "Sterben in Würde" habe das VfGH-Erkenntnis "etwas vorausgesetzt, das es eigentlich erst begründen sollte, nämlich, auf welche Weise gestorben werden soll, weil es der Menschenwürde entspricht", schrieb Schipka. Fragwürdig sei auch, "weshalb menschenunwürdige Suizide, die dem nicht näher bestimmten Würdebegriff des VfGH nicht entsprechen, weniger vom Recht auf Selbstbestimmung erfasst sein sollen als andere Suizide?" Würde sei weiters auch "zu einer subjektiven Einstellung entstellt" worden, wenn das Urteil besonders die Möglichkeit der Suizidbeihilfe für den Einzelnen eingefordert habe, wenn "für ihn" ein Leben in Würde nicht mehr gewährleistet sei.

Alles in allem hätten die Höchstrichter für ihre Schlussfolgerungen selbst keinen Begriff der Menschenwürde entwickelt, sondern diesen "umgedeutet und auf bestimmte Tötungshandlungen reduziert", die als menschenwürdig angesehen werden, diese dann aber nicht konkret benannt. Dies ist in den Augen des kirchlichen Experten "ethisch gefährlich" und schade auch dem aus der Aufklärung stammenden Menschenwürde-Begriff: Dieser werde seinem Bedeutungsgehalt entzogen und verkomme zu einer "Leerformel, in die die jeweiligen gesellschaftspolitischen Vorstellungen hinein- und dann wieder herausgelesen werden können", gab Schipka zu bedenken.