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Wie geht es Eltern, deren Kind sich das Leben genommen hat? Der Filmemacher und katholische Publizist Golli Marboe (55) kann von dem "Schlimmsten, was einem Vater passieren kann" aus eigener Erfahrung berichten. In seinem soeben im Residenz-Verlag erschienenen Buch "Notizen an Tobias" lässt er die Momente des Schreckens und der Trauer in den Folgemonaten Revue passieren - im Versuch, "das Unfassbare zu begreifen", wie er sagt. Die Erinnerungen sollen anderen in schwerer Situation Hoffnung geben und auch Tabus rund um Angst, Depression und Suizid beenden, denn: "Suizid braucht einen gesellschaftlichen Diskurs", so Marboes Überzeugung.

Für Marboes Familie ist seit dem Nachmittag des 26. Dezembers 2018 nichts mehr wie früher. "Da ist was mit Tobias!", hieß es damals nach einem Klingeln der im 4. Stock liegenden Wohnung der Eltern, deren Reaktion "Ja, er ist nebenan. Wir richten gerade das Gästezimmer für ihn her" mit einem "Nein, es ist was mit ihm unten auf der Straße!" erwidert wurde. Tobias Marboe war bei seinem jähen Tod 29 Jahre alt, Künstler und Rapper. "Was hätte der Vater, was hätte das Umfeld machen können, um den Suizid des erwachsenen Kindes zu verhindern?", so eine der leitenden Frage des Buches.

Die an seinen verstorbenen Sohn gerichteten Notizen seien auch "Zeichen der Solidarität", erklärt Marboe: Zu den Hinterbliebenen, die sich in den Schilderungen und Überlegungen wiederfinden könnten, "ganz besonders in Augenblicken, in denen sie sich unendlich einsam und verzweifelt fühlen". Solidarität auch mit "jenen Menschen, die sich in dieser Welt nicht mehr zu Hause fühlen": Sie sollten beim Lesen "spüren, dass es Hoffnung gibt, und nicht zuletzt, dass wohl auch sie Hinterbliebene hätten".

Unverkennbar liefert Marboe mit dem Buch auch eine Liebeserklärung an seinen Sohn und eine Hommage auf dessen Werk: Es ist illustriert mit Fotos, Gemälden, Gedichten und Wort-Bild-Collagen des verstorbenen jungen Künstlers, der auch Lieder schrieb und selbst Filme machte. Er möge sich im Jenseits daran freuen, dass seine Arbeiten wenigstens jetzt betrachtet würden und zum Nachdenken und Schmunzeln anregten, so der Wunsch des Vaters, der formuliert: "Dein Tod als Warnung, dein Tod als Hilfe fürs Über-Leben." Die Arbeiten seines Sohnes hätten seiner Familie in der schwierigen Trauerzeit Orientierung gegeben, erfährt der Leser.

"Suizid ist noch immer die zweithäufigste Todesursache von Jugendlichen in Österreich. Ich möchte allen, die sich in dieser Welt nicht mehr zuhause fühlen, aufzeigen, dass es Hilfestellungen und Hoffnung gibt. Das empfinde ich als Tobias' Auftrag an mich", so Marboe am vergangenen Sonntag in der Ö3-Sendung "Frühstück bei mir" mit Claudia Stöckl über sein Anliegen. Worauf er hofft, ist der in Wien erforschte "Papageno-Effekt": Demzufolge kann behutsame Thematisierung von Suiziden oder suizidale Erfahrungen andere vor Nachahmung schützen.

(Buchhinweis: Golli Marboe, "Notizen an Tobias - Gedanken eines Vaters zum Suizid seines Sohnes". Erschienen 2021 im Residenz-Verlag, 223 Seiten, 24 Euro, ISBN 9783701735143)

(S E R V I C E - Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr und gebührenfrei unter der Notrufnummer 142 erreichbar sowie unter www.telefonseelsorge.at. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums unter www.suizid-praevention.gv.at.)