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"Menschen, die niemand mehr braucht, brauchen Orte, die ihnen Heimat geben": Das hat der Gründer der Emmanusgemeinschaft, Karl Rottenschlager (74), in einem Interview mit der St. Pöltner Kirchenzeitung "Kirche bunt" (aktuelle Ausgabe) hervorgehoben. Ziel der von ihm gegründete Obdachlosen-Einrichtung sei es, ein "Willkommen in dieser Welt" zu vermitteln, denn: "Der Hunger nach Liebe ist groß, aber die Gesellschaft und Wirtschaft können so gnadenlos sein", so der Sozialarbeiter und Autor des am Freitag erscheinenden Buches "Hassen oder vergeben? Bausteine für eine geeinte Welt".

Seit Jahrzehnten setzt sich Rottenschlager für Menschen am Rand der Gesellschaft ein. Ursprünglich wollte er Afrika-Missionar werden, dann kamen aber Gesundheitsprobleme dazwischen. Als er hörte, dass für das Gefängnis Stein ein Sozialarbeiter gesucht wurde und niemand sich meldete, "wusste ich, dass mich Gott ruft. Ich habe erkannt: Für diese Menschen da zu sein - das ist mein Afrika", berichtete er. Geholt worden sei er unter dann, wenn es einen Suizidversuch gab oder wenn sich ein Gefangener selbst verletzt hatte, was damals in den 1970ern fast täglich vorkam. Rottenschlager selbst verstand diese Vorfälle immer als Hilfeschrei "Ich kann nicht mehr". Immer mehr habe er in den Gefangenen das Gesicht Jesu erkannt, den er in diesen Menschen lieben sollte.

Der immer stärker werdende Wunsch, sein Leben mit den Menschen am Rand zu teilen, brachte Rottenschlager 1982 zur Gründung der Emmausgemeinschaft für Obdachlose mit einem Heim für diese in der St. Pöltner Herzogenburgerstraße. Die gemeinsam mit der diözesanen Caritas entstandene Einrichtung war die erste ihrer Art in Niederösterreich. Ein "fast verrücktes Vertrauen in Gottes Regie" habe ihm geholfen, trotz anfänglichen Widerstands aus der Bevölkerung und fehlender Subventionen zu Beginn weiterzumachen, berichtete er. Eine Gebetsgruppe unterstützte ihn dabei geistlich, ein Spender- und Förderkreis finanziell.

Prinzipien der Arbeit der Emmausgemeinschaft seien bis heute "Liebe und Kompetenz", erklärte der Gründer. "Gewissenhafte und solide Arbeit" der Mitarbeiter sei nötig, um die etwa bei Alkohol- und Drogenproblemen nötige Hilfe geben zu können. Wichtig sei auch die Präsenz, das "Dasein wie bei einer Mutter":

Als die "Urwunde" vieler Gäste seiner Einrichtungen sieht es Rottenschlager, als Kind von Mutter oder Vater im Stich gelassen worden zu sein. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Heimen, therapeutischen Wohngemeinschaften oder Pflegefamilien untergebracht sind, bezeichnete er als "Indikator, wie es um eine Gesellschaft steht". Bis in die 1990er-Jahre hinein sei diese Zahl österreichweit bei rund 9.000 gelegen, zuletzt waren es 13.400. Rottenschlager: "Es geht um die Frage: Bin ich willkommen in dieser Welt?"

Mittlerweile ist die Emmausgemeinschaft auf vier Wohnheime, drei Notschlafstellen, zwei Tageszentren und vier Betriebe für einen leichteren Einstieg in den Berufsalltag angewachsen, zudem gründete Rottenschlager auch einen eigenen Sozialmarkt. Befürchtungen der Anrainer, die Nachbarschaft zu ehemaligen Häftlingen und Suchtkranken könnte gefährlich werden, bewahrheiten sich nicht. Ganz im Gegenteil: "Erst vor wenigen Jahren hat mir der Polizeidirektor von St. Pölten gesagt: Wenn es euch nicht gäbe, dann wäre die Rückfallsquote in der Landeshauptstadt viel höher", so Rottenschlager.

Sein Buch "Hassen oder vergeben?" entstand dank Corona, erklärte Rottenschlager. Ihm sei es dabei darum gegangen, durch "Mutmachergeschichten" aufzuzeigen, dass Gott nicht nur im Gelingen, sondern auch im Scheitern am Werk sei und in Phänomenen wie etwa der Globalisierung stets auch Chancen einer Mitgestaltung der Welt liegen. Prominente "Überwinder von Hass" kommen zu Wort, dazu ermuntert der Autor zum Wagnis einer Weggemeinschaft mit Ausgegrenzten, zu gewaltfreier Konfliktlösung und Versöhnung sowie zu universeller Geschwisterlichkeit.

(Buchinfo: Karl Rottenschlager, "Hassen oder vergeben? Bausteine für eine geeinte Welt". 410 Seiten, Euro 17,66; ISBN 978-3200071179)