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Eine gute Therapie erfordert einen "Pakt zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden", der auf Vertrauen, gegenseitigem Respekt und Hilfsbereitschaft gegründet ist. Nach Überzeugung des Wiener Weihbischofs Franz Scharl hat das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember, wonach Mitwirkung am Selbstmord nicht mehr strafbar sei, dieses notwendige Vertrauen "folgenreich und mehr oder weniger subtil attackiert und untergraben". Damit sei "ein erstes kleines Schwarzes Loch des Tötens" gebohrt worden, was wie in den Niederlanden oder Belgien zerstörerische Folgen für die Kultur eines Landes habe. Das kritisierte Scharl am Donnerstagabend im Stephansdom, wo er anlässlich des Welttags der Kranken einen auch im Internet übertragenen Gottesdienst leitete.

Das berufliche Selbstverständnis von Menschen in medizinischen und pflegerischen Berufen sei durch das Höchstgerichtsurteil schwer betroffen. Der Bischof erinnerte in diesem Zusammenhang an die Botschaft von Papst Franziskus zum Welttag: "Eine Gesellschaft ist umso menschlicher, wie sie sich ihrer schwachen und leidenden Glieder anzunehmen vermag ..."

Die gegenwärtige COVID-19-Pandemie bezeichnete Scharl in seiner Predigt als "Nagelprobe": Sie offenbare Unzulänglichkeiten der Gesundheitssysteme mancher Länder ebenso wie Mängel bei der Betreuung Kranker. Der Weihbischof würdigte die Einsatzbereitschaft des Personals im Gesundheitswesen, darunter viele haupt- und ehrenamtliche Krankenhaus- u. Pflegehaus-Seelsorgerinnen und -Seelsorger. Deren Arbeit erfordere Nähe als "kostbaren Balsam für Leidende", die derzeit physisch allerdings sehr eingeschränkt sei. Scharl äußerte die Frage, ob eine Pflege Infektionserkrankter zuhause nicht "systemisch ungefährlicher" sei als in Institutionen. Denn eine zahlenmäßige Konzentration von vulnerablen und direkt Covid-19-betroffenen Personen relativiere alle enormen Sicherheitsmaßnahmen.

Auf Augenhöhe mit Leidenden

Auf einen weiteren Aspekt in der Papstbotschaft zum Welttag der Kranken wies Weihbischof Scharl hin: gleiche Augenhöhe zwischen Pflegendem und Patient. Das Leitwort darin sei dem Matthäusevangelium entnommen: "Nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder" (Mt. 23,8). Das bedeute: "Hier gilt kein Hinabschauen. Hier gilt kein Kriechen! Die Job-Description heißt: Geschwister sein und sich als Geschwister benehmen", wie Scharl erklärte. Dem entsprächen Vorgangsweisen wie zuhören, einen direkten Kontakt zu anderen herstellen, sich vom Leid anrühren lassen und sich in den Dienst nehmen lassen.

Krankheit stelle immer auch vor die Endlichkeit des Lebens, vor die Sinnfrage und die nach Gott. Scharl warnte vor oberflächlichen bzw. unbedachten Worten gegenüber Kranken wie "Es wird schon wieder werden", "Das ist die Strafe für ..." oder aber "Das hat sicher nichts mit Gott zu tun". Scharl legte Pflegenden das Papstwort ans Herz, aus dem Geist einer geschwisterlichen Liebe zu agieren, "in einer Weise, dass keiner einsam zurückbleibt und keiner sich ausgeschlossen oder fallengelassen fühlt".