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Es begann mit einer Privataudienz inmitten der Eurokrise: Im Herbst 2013 stattete der oberste Währungshüter Europas dem Oberhaupt der katholischen Weltkirche einen Besuch ab. Was Papst Franziskus und der damalige EZB-Chef Mario Draghi beredeten, ist nicht bekannt. Doch das Gespräch, so viel steht fest, muss den Banker nachhaltig beeindruckt haben. Der Kontakt blieb bestehen. Im Juli berief Franziskus den Italiener schließlich in die Päpstliche Akademie für Sozialwissenschaften. Der gegenseitige Austausch erweist sich in diesen Tagen als ausgesprochen fruchtbar.

Seit dem Wochenende muss Draghi erneut an exponierter Stelle mithelfen, eine existenzbedrohende Krise zu überwinden. Das politische Schicksal Italiens, von der Corona-Pandemie mit fast 100.000 Todesopfern sehr hart getroffenen, liegt in seinen Händen. Die Wirtschaftskraft des Bel Paese brach 2020 um rund neun Prozent ein. Die sozioökonomischen Kollateralschäden der monatelangen Lockdown-Politik sind verheerend, die Rezession so tief wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Industrieproduktion sinkt, die Staatsschulden explodieren und könnten bald die Marke von 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übertreffen.

Der "Euroretter" von einst, so die Hoffnung vieler Landsleute, ist der richtige Mann, um wieder für mehr Stabilität zu sorgen. Dem 73-Jährigen traut man am ehesten zu, die vorgesehenen EU-Hilfsgelder in Höhe von mehr als 200 Milliarden Euro in die richtigen Bahnen zu lenken. Eine Aufgabe, an der die zerstrittene Mitte-links-Vorgängerregierung von Giuseppe Conte kläglich scheiterte.

Nun ist Draghi als italienischer Ministerpräsident am Zug. Der fromme Katholik macht keinen Hehl daraus, dass der Glaube und die Verbundenheit zur Kirche die Grundzüge seines Handelns bestimmen. Wie er sein Heimatland aus der Krise führen will, hat der gebürtige Römer bereits vor Monaten bei einem prominent besetzten Treffen katholischer Laien in Rimini skizziert. Bei der Konferenz an der Adriaküste lieferte er - aus heutiger Sicht - einen Entwurf für sein künftiges Regierungsprogramm.

Fokus Jugend

Der Absolvent einer Jesuiten-Eliteschule sprach bei der 41. Auflage des "Meeting Rimini" im vergangenen August über die Herausforderungen und Chancen der Pandemie. Dabei wurde deutlich: Der Mann des Geldes vertritt ganz ähnliche Ziele wie der Papst. Beide wollen mehr für die Jugend, die Armen, die Benachteiligten tun. Im Gegenzug sollen Reiche stärker zur Verantwortung gezogen werden. In italienischen Medien sorgten die Parallelen zwischen Ökonomie und Theologie, zwischen Finanzwelt und Religion, für einiges Aufsehen. Die Tageszeitung "La Repubblica" titelte: "Die sozialen Lektionen von Franziskus und Draghi."

Besondere Aufmerksamkeit widmete der Wirtschaftswissenschaftler in seiner Rede den jungen Menschen. Sie sollten in den Mittelpunkt aller Überlegungen gestellt werden. "Für die Jugend muss mehr getan werden", forderte Draghi. Die aktuellen Hilfszahlungen aus europäischen Ländern dienten "dem Überleben, dem Neustart". Aber wenn dieses Geld ausgehe, drohten massive Probleme. "Die durch die Pandemie entstandenen Schulden sind beispiellos und müssen vor allem von den Jungen zurückgezahlt werden", betonte er. "Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie über alle notwendigen Instrumente verfügen, um dies zu tun." Denn einen jungen Menschen seiner Zukunft zu berauben, sei "eine der schwerwiegendsten Formen" der Ungerechtigkeit.

Ökologischer Wandel

Der Ökonom plädierte überdies für die Rückkehr zu einem Wachstum, "das die Umwelt respektiert und den Menschen nicht erniedrigt". Das sei zu einem "absoluten Imperativ" geworden. Nur eine Wirtschaftspolitik, die Einkommenssicherheit auch für die Ärmsten schaffe, könne den dringend benötigten sozialen Zusammenhalt stärken, lautete sein Fazit. Ein Ansatz, der nahezu identisch ist mit den Thesen des Papstes.

Hat der Jesuit Franziskus im Jesuitenschüler Draghi also einen wichtigen Verbündeten im italienischen Regierungssitz Palazzo Chigi gefunden? Vieles spricht dafür, auch die ersten Amtshandlungen des Ministerpräsidenten. Er schuf eigens ein Ministerium für Menschen mit Behinderungen - ein Schritt, der deckungsgleich ist mit dem päpstlichen Engagement für die Schwächsten der Gesellschaft. Dass mit Erika Stefani ausgerechnet eine Politikerin der rechtsgerichteten Lega-Partei an der Spitze der Behörde steht, entbehrt freilich nicht einer gewissen Ironie. Dennoch sprechen Behindertenverbände von einem wichtigen Signal in Sachen Inklusion.

Ganz nach dem Geschmack des Kirchenoberhaupts dürfte sein, dass Draghi den Physiker Roberto Cingolani zum "Minister für den ökologischen Wandel" bestimmte. Für einen ebensolchen Wandel tritt Franziskus seit Veröffentlichung seiner Umwelt- und Sozialenzyklika "Laudato si" im Jahr 2015 ein. Einem herzlichen Wiedersehen beim Antrittsbesuch Draghis im Vatikan steht demnach kaum etwas im Wege. Dafür muss der neue Regierungschef an diesem Mittwoch nur noch erfolgreich um das Vertrauen des Parlaments werben. Die Bestätigung gilt als ausgemachte Sache.