page-header

Der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic hat, wie die APA berichtet, am Montag das von der neuen Regierung beschlossene Religionsgesetz unterschrieben. Und zwar gegen die eigene Überzeugung, wie er betonte. Das umstrittene Gesetz war in seiner ursprünglichen Form bereits im Dezember 2020 vom Parlament verabschiedet worden. Djukanovic, der das Gesetz in dieser Form teils auch inhaltlich ablehnt, hatte es aber wegen vermeintlicher Verfahrensfehler bei der parlamentarischen Abstimmung nicht unterzeichnet und an das Parlament zurückverwiesen. Dieses beschloss es daraufhin erneut. Laut Verfassung hatte Djukanovic nun keinen Spielraum mehr, sich gegen das Gesetz zu stellen, das wesentlich von jenem ursprünglichen Text abweicht, der vor einem Jahr noch auf seine Initiative hin geplant war.

Der Formalfehler, den Djukanovic geltend machte: Angesichts der Coronaviruskrise hatte das Parlament beschlossen, dass auch Abgeordnete, die sich in der Quarantäne befinden, per Videoschaltung an den Sitzungen teilnehmen können. In der Verfassung des Landes war eine solche Möglichkeit allerdings bisher nicht vorgesehen.

Letztlich ging und geht es aber um inhaltliche Differenzen zwischen dem Präsidenten und der neuen Parlamentsmehrheit in Montenegro. Der Streit um das Religionsgesetz war ein Zentralthema des Wahlkampfs gewesen. Bei der Wahl im August 2020 unterlag Djukanovic mit seiner pro-westlichen Partei DPS knapp. Die Mehrheitsverhältnisse im montenegrinischen Parlament sind ebenfalls äußerst knapp: Das neue Regierungsbündnis, das von der pro-serbischen Demokratischen Front (DF) sowie zwei kleineren pro-westlichen Parteien unterstützt wird, hat 41 von 80 Mandaten.

Das Religionsgesetz hatte zu einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern von Djukanovic und der serbisch-orthodoxen Kirche des Landes geführt. Der inzwischen der Corona-Pandemie zum Opfer gefallene montenegrinische Metropolit Amfilohije (Radovic) stand an der Spitze des orthodoxen Widerstands. Präsident Djukanovic, der sich persönlich als Agnostiker bezeichnet, favorisierte eine kleine Gruppierung, die sich als "Montenegrinisch-orthodoxe Kirche" bezeichnet und die Unabhängigkeit von der serbisch-orthodoxen Kirche einforderte.

Die unklaren Formulierungen des Djukanovic-Religionsgesetzes ließen die serbisch-orthodoxe Kirche befürchten, dass die wichtigsten Gotteshäuser und Klöster Montenegros der in ihren Augen kleinen schismatischen Gruppierung übereignet werden könnten, weil die Geschichte des Landes überaus komplex ist. Das Gesetz hatte u.a. vorgesehen, dass die im Lande tätigen Kirchen den Eigentumsstatus von Gebäuden und Immobilien klären müssen, die vor 1920 in ihren Besitz gelangt waren.

Die am 4. Dezember ins Amt gekommene neue Regierung von Montenegro hatte der Abänderung des Religionsgesetzes höchste Priorität eingeräumt und schon nach wenigen Tagen die umstrittenen Paragrafen des geplanten Gesetzes gestrichen bzw. neu formuliert. In der Neufassung sind nun nicht mehr jene Regelungen enthalten, die es hätten ermöglichen können, den Immobilienbesitz der serbisch-orthodoxen Kirche zu verstaatlichen.

Komplexe Geschichte

Von 1878 bis zum Ersten Weltkrieg war Montenegro ein souveräner Staat. Die Metropolie von Cetinje wurde in den Rang eines Erzbistums erhoben und in ihrer Autokephalie von der orthodoxen Weltkirche bestätigt. Die "Montenegrinisch-orthodoxe Kirche" beruft sich in ihrer Existenz auf dieses Erzbistum von Cetinje, das sich 1920 mit der Metropolie von Belgrad, der Metropolie von Sremski Karlovci, der Metropolie von Bosnien-Herzegowina und der Metropolie von Dalmatien zur serbisch-orthodoxen Kirche vereinigte und heute als Erzbistum innerhalb der serbisch-orthodoxen Kirche besteht.

Nach der Auffassung der Anhänger der kleinen unabhängigen "Montenegrinisch-orthodoxen Kirche" wurde das selbständige Erzbistum von Cetinje 1920 von der serbisch-orthodoxen Kirche annektiert und 1993, mit der Gründung dieser Kirche, sei das Erzbistum von Cetinje erneuert worden. Von der Weltorthodoxie ist die kleine Kirche allerdings nicht anerkannt.