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Die Kritik an der nächtlichen Abschiebung dreier Schülerinnen und ihrer Familienangehörigen nach Georgien und Armenien ist auch am Freitag nicht abgerissen. Harsche Kritik an den Behörden und der Polizeiaktion in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag kamen u.a. von Caritas und Diakonie, aber auch von der Österreichischen Ordenskonferenz. Deutliche Worte fand schon Donnerstagabend Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Caritas-Präsident Michael Landau betonte in einer Aussendung am Freitag wörtlich: "Es ist ein Zeichen von Schwäche, wenn der Staat glaubt, seine Stärke mit der Abschiebung kleiner Kinder demonstrieren zu müssen." Entscheidungen, die aus rechtsstaatlichen Verfahren hervorgehen, seien zwar grundsätzlich zu respektieren. Doch wenn selbst so gut integrierten Familien kein humanitäres Bleiberecht mehr gewährt werde, dann drohe dieses Instrument zu totem Recht zu verkommen.

Gesetze sind laut Landau immer "Ausdruck eines politischen Willens". Führten sie aber zu Ergebnissen, "die in ihrem Grundsatz nicht gewollt sind, kann und muss man diese Gesetze ändern", appellierte der Caritas-Präsident.

Die Caritas beobachte zudem, "dass die Situation des Kindes, das sich mit seiner Familie in Österreich aufhält, in der Entscheidungsfindung bezüglich seines Bleiberechts oft vernachlässigt wird". So werde zwar der Integrationsgrad der Eltern berücksichtigt, jedoch nicht der Integrationsgrad der Kinder, mahnte Landau. Die Integration der Kinder müsse stärker in die Interessenabwägung einfließen und im Zweifelsfall Priorität haben, so die Forderung Landaus.

Zwar erhalte nicht jeder, der Asyl beantrage, auch Asyl, hielt der Caritas-Präsident fest. Es müsse aber sichergestellt werden, "dass Verfahren fair, qualitätsvoll und rasch geführt werden, damit Schutzsuchende möglichst schnell Klarheit darüber bekommen, ob sie bleiben können oder nicht."

Zudem würde es Landau begrüßen, wenn die Entscheidung über ein humanitäres Bleiberecht wieder auf regionaler Ebene erfolgen würde: "Ist der Abzuschiebende Nachbar, Freund oder Kollege, dann hat er Name, Gesicht und ein Schicksal. Dann ist er Gemeindebürger. Bürgermeister und Gemeindevertreter kennen ihn." Der Grad der Integration und die Verwurzelung in Österreich, die für die Entscheidung zentral sind, könnten auf Länder- oder regionaler Ebene besser beurteilt werden.

Schutzsuchende Menschen müssten in allen Stadien des Verfahrens menschenrechtskonform und menschenwürdig behandelt werden. Das beinhalte neben dem Verfahren und der Unterbringung auch die Art und Weise, wie eine eventuelle Abschiebung erfolgt, so Landau: "Hier stellt sich die Frage, ob es notwendig und verhältnismäßig ist, Familien mit Kindern unter großem Polizeiaufgebot mitten in der Nacht und unter Einsatz von Polizeihunden zum Flughafen zu bringen." Zudem sei infrage zu stellen, "ob Abschiebungen von Familien mit Kindern, die in Österreich geboren sind, jetzt - mitten in einer Jahrhundertpandemie - notwendig sind", so der Caritas-Präsident.

Ordenskonferenz für humanitäres Bleiberecht

Heftige Kritik kam auch vonseiten der Österreichischen Ordenskonferenz. "Wir sprechen nicht über irgendein abstraktes Aktenzeichen, sondern über Kinder", so Ordenskonferenz-Generalsekretärin Christine Rod in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress. Sicherlich sei nach der geltenden Gesetzeslage gehandelt worden, doch "wem dient das Gesetz?", fragte Rod: "Sollte es nicht den Menschen und damit der Menschlichkeit dienen? War es wirklich menschlich, um drei Uhr in der Früh Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, hier zur Schule gehen, hier Freunde haben, mit Polizeigewalt abzuholen und in ein Land abzuschieben, dass sie nicht kennen und das ihnen fremd ist?" Hier hätte man im Sinne eines humanitären Bleiberechts menschlich und christlich handeln können, zeigte sich Rod überzeugt.

Ordensgemeinschaften hätten sich schon immer mit Menschen am Rande solidarisiert und sie in die Mitte der Gesellschaft geholt. "Ganz im Sinne von Jesus Christus, der sagt, was ihr für einen meiner geringsten Brüder und einer meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. An die 'geltende Gesetzeslage' wird er sicherlich nicht gedacht haben", so Rod abschließend.

"Akt der Unmenschlichkeit"

Auch die Kirchenleitung der Altkatholischen Kirche Österreichs hat die Abschiebungen scharf als "Akt der Unmenschlichkeit" kritisiert. "Man kann nicht den Holocaust-Gedenktag begehen und anschließend zur Tagesordnung übergehen und Kinder auf diese Art und Weise in ein ihnen unbekanntes Land abschieben", fuhr Bischof Heinz Lederleitner schwere Geschütze auf. Und der altkatholische Generalvikar Martin Eisenbraun ergänzte: "So eine unmenschliche Politik steht im Gegensatz zu christlich-sozialen Grundwerten!"

Van der Bellen zutiefst betroffen

Schon Donnerstagabend hatte Bundespräsident Alexander Van der Belle heftige Kritik geübt. "Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist", sagte er in einem auf Facebook veröffentlichten Video. "Wir müssen einen Weg des menschlichen, respektvollen Umganges miteinander finden. Gerade, wenn Kinder die Hauptleidtragenden sind."

Er habe in diesem Fall keine formale Zuständigkeit, "aber sehr wohl eine klare Haltung", betonte der Präsident in der Video-Botschaft. "Um es ganz deutlich zu sagen: Jedes Staatsorgan muss selbstverständlich auf Basis der geltenden Gesetze handeln", sagte Van der Ballen. Er kenne die Akten der konkreten Verfahren zwar nicht, fragte aber, ob es nicht einen rechtlichen Spielraum gegeben hätte: "Was ist mit den Rechten der Kinder, den Kinderrechten, die gewährleistet sind? Wurden die Kinder ausreichend gehört?" Er appelliere an alle, "die hier Verantwortung tragen", dem Wohl von Kindern und Jugendlichen Vorrang zu geben

Gleichzeitig betonte Van der Bellen, er wisse, dass viele seine Haltung teilen: "Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Menschen aus der Wirtschaft, aus den Gewerkschaften, Landespolitikerinnen und -politiker, Bischöfe und Pfarrer, auch der Papst. Und vor allem Schulkolleginnen und Schulkollegen, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und natürlich viele Bürgerinnen und Bürger."

Geist: "Unerträgliche Abschiebepraxis"

Heftige Kritik kam am Freitag auch aus den Reihen der Evangelischen Kirche. Als "unerträglich" bezeichnete der Wiener evangelische Superintendent Matthias Geist die "Abschiebepraxis von Kindern aus Österreich". Die Vorgehensweise entspreche nicht den weltweit anerkannten Kinderrechten, kritisierte Geist in einem Posting auf Facebook die Abschiebung der Mädchen. Laut Kinderrechtskonvention sei der Schutz Minderjähriger "vorrangig gegenüber behördlichen Eingriffen und sollte dies bleiben". Was eine Abschiebung von Kindern mit diesen anrichte, sei "jedenfalls nicht im Sinne der sonst hochgehaltenen Kinderrechte und der ganz konkreten zwölfjährigen Schülerinnen aus Wien und aller ihrer Freunde und Weggefährten".

Es gehe jetzt "um jede einzelne junge Person, die auch in Zukunft von solcher Art Abschiebung bedroht ist." Für Geist ist es "mehr als bedenklich, wenn Kinder mit nachvollziehbarer Integration in unser Land entwurzelt werden." Darin sieht er einen gravierenden "Bruch mit den Grundsätzen einer solidarischen, integrativen Gesellschaft."

Diakonie: "Ungnade vor Recht"

Auch Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte den Blick auf das Kindeswohl ein: "Im Fall von Tina und ihrer Schwester wurde das nicht berücksichtigt", schrieb Moser via Twitter. Denjenigen, die die Abschiebung mit der Phrase "Recht muss Recht bleiben" begründen, hielt Moser entgegen: "Recht muss Recht bleiben gilt schon lange nicht mehr." So gebe es Fälle illegaler Pushbacks an Grenzen sowie menschenrechts- und EU-Richtlinien-widrige Flüchtlingslager. Das Recht werde "tausendfach" gebrochen. "Gnade vor Recht war mal. Jetzt: Ungnade vor Recht", konstatierte Moser.

Humanitäre Lösungen notwendig

"Große Bestürzung" haben die Bilder der Abschiebung bei der Evangelischen Jugend Österreich (EJÖ) hervorgerufen. "Wenn es um Asylverfahren von Kindern geht, müssen humanitäre Lösungen gefunden werden", forderte Judith Schrödl, stellvertretende Vorsitzende der EJÖ, in einer Aussendung. "Es kann nicht sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt Kinderrechte ignoriert werden und es keine Möglichkeit gibt, Kindern, egal wo sie herkommen, ein sicheres Zuhause und Zukunftsperspektiven zu ermöglichen", ergänzte der Vorsitzende der EJÖ, Thomas Nanz.