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Der frühere Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Ludwig Müller, hat sich der Kritik der US-Bischofskonferenz am neuen US-Präsidenten angeschlossen und davor gewarnt, dessen angeblich abtreibungsfreundliche Ansichten als vereinbar mit dem katholischen Glauben anzusehen. Unter Joe Biden stehe die USA "mit ihrer geballten politischen, medialen und ökonomischen Macht an der Spitze der subtil-brutalsten Kampagne zur Entchristianisierung der westlichen Kultur seit 100 Jahren", sagte der Kurienkardinal im Interview des Portals kath.net (Dienstag).

Biden stelle sich "offen gegen den katholischen Glauben, wenn er das klare Bekenntnis zur Unantastbarkeit jedes menschlichen Lebens aufgrund politischer Präferenzen mit taktischen Spielchen und sophistischen Verschleierungen relativiert", so Müllers Einschätzung. So sehr sich das Neo-Staatsoberhaupt auch als gläubiger und praktizierender Katholik präsentiere, sprächen seine politischen Vorhaben dennoch eine andere Sprache. Die auch bei Katholiken vorfindbare Meinung, der Glaube sei Privatsache und man könne "im öffentlichen Leben etwas in sich Böses zulassen, billigen und fördern", sei absurd.

Die katholische Kirche halte daran fest, dass das Leben von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen und Abtreibung ein "verabscheuungswürdiges Verbrechen" sei, betonte der emeritierte Glaubenspräfekt. Auch Papst Franziskus und dessen Vorgänger hätten die absichtliche Tötung eines Kindes vor und nach der Geburt als "schwerste Verletzung der Gebote Gottes" bezeichnet. Dass nun hingegen unter der Bezeichnung "Recht auf reproduktive Gesundheit" eine von den USA ausgehende weltweite organisierte Abtreibungskampagne anlaufe, sei ein "Euphemismus".

Warnung vor "blindem Anti-Trump-Affekt"

Millionen Kinder würden dieser Kampagne zum Opfer fallen, was jedoch selbst von "guten Katholiken bis in höchste Stellen im Vatikan" in einem "blinden Anti-Trump-Affekt" heruntergespielt werde, und zwar mit dem Hinweis auf Charakterschwächen von Bidens Amtsvorgänger, kritisierte Müller. Der vorgebrachte Einwand, mit Donald Trumps Niederlage sei eine "viel größere Gefahr" gebannt, zähle für ihn nicht. "Ich kann nicht einen abtreibenden Politiker unterstützen, weil er Sozialwohnungen baut, und für das relative Gute sollte ich das absolute Böse akzeptieren." Als "pervers" bezeichnete der Kardinal die Idee, "Abtreibung und Euthanasie mit dem Einlass von Einwanderern und Migranten aufzurechnen und so Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit 'Schweigen' in Kauf zu nehmen".

Bidens Aufrufe zur Einheit und "Heilung der Wunden" bei seiner Amtseinführung bezeichnete Müller als "Propaganda-Trick". Christen in der Politik müssten sich zwar sehr wohl um Versöhnung bemühen, doch werde ideologische Spaltung in der Gesellschaft nicht dadurch überwunden, "dass eine Seite die andere an den Rand drängt, kriminalisiert und vernichtet", so der frühere Leiter der Glaubenskongregation. Es sei schon absehbar, dass mit öffentlichem Geld unterstützte gemeinnützige katholische Institutionen in den USA wie Schulen und Krankenhäuser "zu unmoralischem Verhalten genötigt oder bei Zuwiderhandlung geschlossen" würden.

Die US-Bischofskonferenz hatte in ihrem Ringen um eine gemeinsame Linie zu Joe Biden am Wochenende energisch gegen dessen Pläne in Sachen Abtreibungspolitik protestiert. In den deutschsprachigen Ländern sei eine ähnlich harte Reaktion auf eine die Abtreibungen befürwortende Politik nicht denkbar, meinte der aus Deutschland stammende Kardinal. Seit dem Staatskirchentum würde sich die Kirche den "innerweltlichen Staatszielen" weitgehend unterordnen, eine Auseinandersetzung mit der "aggressiven Dechristianisierung der Gesellschaft" finde nur im privaten Kreis statt. "Ein Bischof in Mitteleuropa steht heute vor der Wahl, mit Konformität zu überleben oder von Ignoranten als Fundamentalist gebrandmarkt zu werden", so Müller.