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Ausgelaugt, müde und perspektivlos: So beschreibt die "TelefonSeelsorge OÖ - Notruf 142", die aktuelle psychische Situation vieler Anruferinnen und Anrufer im mittlerweile zweiten Corona-Jahr. Ähnlich wie während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 sollte daher auch heuer der "gemeinschaftliche Gedanke der Sorge füreinander" in den Fokus rücken, appellierte Telefonseelsorge-OÖ-Leiterin Silvia Breitwieser am Montag bei einer Pressekonferenz in Linz. Helfen könnten bereits kleine Gesten, wie Anrufe, Nachrichten oder das "Anläuten beim Nachbarn", meinte Breitwieser: "Schauen wir auf die gesundheitliche und seelische Verfasstheit unserer Nächsten, bleiben wir in Kontakt."

Bereits eine Anpassung der Tagesstruktur oder das "Ausziehen des Pyjamas" könne bei Ängsten oder dem Gefühl der Perspektivlosigkeit helfen, erklärte Katharina Glück, Vorstand der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am Klinikum Wels. Auch Bewegung an der frischen Luft wirke antidepressiv, so die Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Vermieden werden sollten hingegen negative Nachrichten aber auch Substanzmissbrauch wie Alkohol.

Solch kleine Umstellungen könnten Menschen helfen, egal ob sie eine Krisenresilienz hätten oder nicht, betonte Glück. Positiv bewertete sie auch die Covid-Impfung und das steigende Angebot an kostengünstigen oder kostenlosen Antigenschnelltests. "Möglicherweise müssen wir uns zu einer gewissen Corona-Normalität hin entwickeln, in der Testen und Impfen zur Routine gehört", so die Medizinerin.

Besonders betroffen von Corona-Pandemie und -Maßnahmen seien Kinder und Jugendliche, Menschen mit psychischen Vorerkrankungen, aber auch das Pflegepersonal. Letztere seien mit der Betreuung von Covid-Patienten besonders herausgefordert, hätten vermehrt Sterbende begleitet und müssten mit der Angst leben "den Virus mit nach Hause zu nehmen". Folge davon sei bei vielen eine akute Burn-out-Gefährdung, mahnte Glück.

Aktuell gehe es darum "handlungsfähig zu bleiben und fürsorglich mit sich umzugehen", meinte auch Barbara Lanzerstorfer-Holzner, Referentin der Telefonseelsorge OÖ. Die Expertin riet dazu, sich etwa von eigenen überzogenen Erwartungen zu lösen, mit sich selbst geduldig zu sein und eine positive Alltagsstruktur einzuführen, in der auch Dankbarkeit und positive Erlebnisse wieder Platz bekommen sollte.

"Der Ausnahmezustand ist zum Dauerzustand geworden, Leichtigkeit und Unbeschwertheit sind selten geworden", erklärte Lanzerstorfer-Holzner u. a. die Überforderung durch Homeoffice, Homeschooling, Social Distancing oder Arbeitslosigkeit. Sichtbar werde dies auch an den steigenden Beratungszahlen der Telefonseelsorge (2019: 15.000; 2020: 17.000), aber auch an vermehrt geäußerten Zukunfts- und Kontrollverlustängsten. "Hinzu kommen die Sehnsucht nach körperlichen Interaktionen, die Wut über die mangelnde Kontrolle der Situation und die Perspektivlosigkeit", so die langjährige Telefonseelsorge-Beraterin.

"Wenn jeder Mitmensch eine potenzielle Gefahr darstellt, braucht es eine gute Balance, um das auszuhalten", mahnte Lanzerstorfer-Holzner. Sie rief dazu auf, sich bei anhaltenden Sorgen und Ängsten Hilfe zu holen. Der Notrufdienst der "TelefonSeelsorge - Notruf" 142 ist in ganz Österreich vertraulich, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar, ebenso die Mailberatung unter der Web-Adresse onlineberatung-telefonseelsorge.at

Das Angebot der Telefonseelsorge wird verstärkt von Frauen (67 Prozent) angenommen, Männer machen 33 Prozent der Kontakte aus. Die meisten Anrufenden sind zwischen 40 und 60 Jahren alt. An die Onlineberatung wenden sich vorwiegend Jüngere, so sind 64 Prozent der Ratsuchenden in der Mailberatung unter 30 Jahre alt. Die drei häufigsten Hauptberatungsthemen sind Beziehungsprobleme, Einsamkeit und psychische Gesundheit.