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Drei Autostunden von Österreich entfernt müssen geflüchtete Menschen obdachlos im Schnee übernachten. Neben der Kälte und mangelnden Hygiene- und Lebensmittelversorgung sei aber die Perspektivlosigkeit für die Menschen am schlimmsten, berichtete Caritas-Auslandshilfe-Generalsekretär Andreas Knapp, der sich seit Montag in Bosnien aufhält. Im Kathpress-Interview warnte er vor einer humanitären Katastrophe im politisch instabilen Bosnien. Mehr als 2.500 Familien - vor allem Frauen und Kinder - leben aktuell in UN-Lagern, weitere 1.000 Flüchtlinge im abgebrannten Lager Lipa und mehr als 3.000 Menschen müssen im Freien oder in Abbruchhäusern schlafen, da es in den Camps an Platz oder Lebensmitteln mangelt. Die Flüchtlinge stammen zum Großteil aus Pakistan, Bangladesch,

Afghanistan, Irak und Iran.

Leiden würden aber nicht nur die Flüchtlinge angesichts der Minusgrade in Bosnien, auch die lokale Bevölkerung sei in einer ausweglosen Situation, schilderte Knapp. Die Corona-Krise habe die Arbeitslosigkeit und Armut nochmals verschärft. "Das Land ist mit der Situation massiv überfordert und selbst politisch instabil."

"Wir spielen Armut nicht gegen Armut aus", stellte Knapp klar. Ziel sei es, sowohl Flüchtlingen zu helfen und die humanitäre Krise zu lösen, als auch die ländliche Bevölkerung zu unterstützen. Mithilfe lokaler Partner werden an die einheimische Bevölkerung u.a. Lebensmittelgutscheine, Heizkostenzuschuss und Brennholz verteilt, zudem wird Sozialberatung angeboten. Darüber hinaus wird mit lokalen Initiativen an mittel- und langfristigen Unterstützungsmöglichkeiten für die Bevölkerung sowie die Geflüchteten gearbeitet.

Gefordert seien langfristige Lösungen und Projekte, um einerseits einen Teil der Flüchtlinge in Bosnien zu integrieren, andererseits Schutzsuchende per europäischer Lösung und speziellen "Settlement Programmen" auf EU-Staaten aufzuteilen. Spätestens die Pandemie habe gelehrt, "dass wir alle in einem Boot sitzen". Knapp weiter: "Wenn wir keine humanitären Lösungen bereitstellen, hat das Auswirkungen auf uns alle, nicht nur auf die Flüchtlinge. Außerdem können wir uns selbst in einem kleinen Land wie Österreich nicht einkapseln. Das wäre auch für die langfristige Stabilität unseres Landes keine Lösung."

Gravierende Defizite im Lager Lipa

Das im Dezember abgebrannte Lager Lipa nahe der bosnischen Stadt Bihac sei zwar mittlerweile mit Zelten für bis zu 30 Personen ausgestattet worden, "es gibt aber gravierende Defizite und auch Mindeststandards wie Wasser- oder Stromversorgung sind nicht gegeben", kritisierte Knapp. Unzureichend sei auch die Lebensmittelversorgung, da im Lager nicht gekocht werden könne. "Die Essensverteilung funktioniert so recht und schlecht, auch wenn sie inzwischen vom lokalen Roten Kreuz übernommen wurde." Die vorwiegend jungen Männer würden fast ausschließlich Konserven erhalten.

Knapp verglich die Lage in Bosnien mit dem griechischen Lager Moria auf Lesbos: In beiden Fällen seien die Menschen gezwungen, unter unzumutbaren Bedingungen zu leben, mahnte der Caritas-Generalsekretär. Caritas-Mitarbeiterin Bettina Riha-Fink berichtete via Facebook auch von Landminen-Warnschildern rund um das Lager. "In Bosnien Herzegowina sind noch immer zehntausende Minen vergraben", so Riha-Fink.

"Betroffene Migranten kampieren bereits lieber im Freien und kochen sich ihr Essen selbst, da es nicht genügend Platz gibt und die Bedingungen schlecht sind", meinte Knapp. Die Caritas Banja Luka und andere lokale NGOs helfen daher mit warmer Bekleidung, Winterschuhen und Schlafsäcken aus, damit die Betroffenen vor der Kälte geschützt sind.

Hilfe kommt auch vonseiten der Mutter-Teresa-Schwestern. Die Ordensfrauen gehen trotz Minengefahr in Abbruchhäuser, verteilen Nahrungsmittel, Decken und leisten medizinische Versorgung.

Das Lager Lipa nahe der bosnischen Stadt Bihac war kurz vor Weihnachten von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geräumt worden, weil die bosnischen Behörden es nicht winterfest gemacht hatten. Kurz darauf brannten die Zelte aus, den damaligen Berichten zufolge hatten Bewohner das Feuer selbst gelegt. Knapp bezeichnete es als "Akt der Verzweiflung von Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben". Der Versuch der bosnischen Behörden, die Menschen mit Bussen in eine ehemalige Kaserne im Süden des Landes zu bringen, scheiterte am Widerstand von Anwohnern. Daraufhin wurden die Flüchtlinge und Migranten in das ausgebrannte Lager zurückgebracht. Das Problem der fehlenden Unterkunftsmöglichkeiten sei bis dato aber nicht gelöst worden, so Knapp.

Mithilfe einer Facebook-Spendenaktion vor Weihnachten konnte die Caritas bereits 200.000 Euro sammeln, um Schlafsäcke und Decken, Schuhe und Jacken für die Betroffenen bereitstellten zu können. Die Caritas Österreich bittet angesichts des Flüchtlingsdramas unweit von Österreich um Spenden. (Info und Spenden: www.caritas.at/balkan; IBAN AT23 2011 1000 0123 4560, Kennwort: "Menschen auf der Flucht")