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Die moderne säkulare Frauenbewegung spricht der Bibel als religiöses Buch wenig bis gar kein Befreiungspotenzial zu und wird als "eher gleichbehandlungsfeindlich" eingeschätzt. Anders die Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts: "Für sie war die Auseinandersetzung mit der Bibel nichts Ungewöhnliches, wurde doch selbst in Gesetzen mit ihr argumentiert", erläuterte die Grazer Alttestamentlerin Prof. Irmtraud Fischer am Montag gegenüber Kathpress. Zwar seien Überzeugungen über das Wesen der Frau - als dem Mann Untergeordnete - religiös bzw. biblisch begründet worden. Frauenrechtlerinnen jedoch hätten diese traditionelle Interpretation der Bibel, die Frauenunterdrückung förderte, jedoch hinterfragt, so Fischer.

Die Pionierinnen der Frauenbewegung waren "überzeugt, dass die Bibel auch anders - zugunsten der Frauen und befreiend für Unterdrückte - ausgelegt werden kann", betonte Fischer. Die Grazer Bibelwissenschaftlerin ist Initiatorin des internationalen Großforschungsprojekt "Die Bibel und die Frauen" (www.bibleandwomen.org). In ihrem jüngst erschienen Buch "Die Bibel war für sie ein politisches Buch", das in der Reihe "Theologische Frauenforschung in Europa" im deutschen Lit-Fachverlag publiziert wurde, nimmt Fischer mit sieben weiteren Autorinnen die Bibellektüre von Frauen im 19. Jahrhundert in den Blick.

Dabei hätten sich diese auch mit genau jenen Texten befasst, mit denen die Kirchentradition die Frauen davor "zum Schweigen und zur Unterordnung" bringen wollten, stellte Fischer fest. Die Resultate seien von Land zu Land unterschiedlich gewesen. Der Band "Die Bibel war für sie ein politisches Buch" zeige daher unterschiedlichste Auslegungstraditionen, so die Grazer Theologin: In der armenischen Frauenbewegung etwa habe sich die Bibelauslegung zwischen der Nationsbildung und dem Anliegen, den Frauen Recht zu verschaffen, bewegt; in Norwegen mussten sich frühe Politikerinnen gezwungenermaßen mit Bibelzitaten befassen, die gegen sie ausgelegt wurden, und in Lettland wurde in einem traditionell-frauenfeindlichen Kontext die Bibel von Frauen mit einer "Option für die Armen" gelesen.

Diese kritische Auseinandersetzung habe bei manchen hochgebildeten Frauen zu einer neuen modernen Form der Bibelauslegung geführt, "die man heute als historisch-kritisch bezeichnen würde", sagte Fischer.

Aktuell seien Frauenbewegungen häufig antireligiös eingestellt, da Religionen als Hort eines konservativen Frauenbildes gelten. Dieser Vorwurf sei nicht unberechtigt, räumte die Theologin ein. Sie verwies u.a. darauf, dass vonseiten der Kirche bis heute ein traditionelles Frauenbild vermittelt wird. Religionen und deren Heilige Bücher besäßen aber auch ein Befreiungspotenzial, stellte Fischer klar.

Großprojekt "Die Bibel und die Frauen"

Im Rahmen des Projekts "Die Bibel und die Frauen" (www.bibleandwomen.org) wurde mit "Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts" jüngst eine neue Publikation herausgegeben. Zuletzt waren im Dezember zwei neue Bände erschienen, die biblische Frauen in der jüdischen Tradition in den Fokus nahmen. Von den insgesamt geplanten 21 Bänden der Reihe sind im renommierten deutschen Kohlhammer-Verlag bereits 16 erschienen.

Ziel des internationalen Projekts ist es, eine Rezeptionsgeschichte der Bibel von ihrer Entstehung bis in die heutige Zeit zu erfassen - in 21 Bänden und vier Publikationssprachen. Die Hauptherausgeberinnen - neben Irmtraud Fischer auch drei Forscherinnen in Madrid, Neapel und Saskatoon (Kanada) wollen den unterschiedlichen Deutungen von Frauen in der Bibel sowie genderrelevanten Themen (wie z.B. Reinheitsvorstellungen oder Ämter) in der Auslegungsgeschichte nachgehen. Beleuchtet werden aber auch die Bibelauslegungen von Frauen.

Am Forschungsprojekt arbeiten weltweit etwa 300 Fachleute mit, dabei werden auch bisher unerforschte Teile der Frauengeschichte ins Bewusstsein gerückt, betonte Fischer. Derzeit in Vorbereitung ist ein Band der Wiener Alttestamentlerin Agnethe Siquans mit Markus Vinzent vom Kings College in London über die Kirchenväterexegesen von biblischen Frauenfiguren. (Info: www.bibleandwomen.org)