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Die nächtliche Abschiebung dreier Schülerinnen und ihrer Familienangehörigen nach Georgien und Armenien hat auch zahlreiche Kirchenvertreter empört. "R.i.P. Humanitäres Bleiberecht", verwies der Rektor des Missionshauses St. Gabriel und Vize-Provinzial der Mitteleuropäischen Provinz der Steyler Missionare, P. Franz Helm, auf Facebook zu der Polizeiaktion in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag lapidar auf ein nicht in Anspruch genommenes Rechtsmittel in Asylverfahren. Und auch die Katholische Jungschar und Katholische Jugend, Vertreter der Caritas, der universitären Theologie und der Ordensgemeinschaften kritisierten am Donnerstag das Vorgehen des Innenministeriums und der Fremdenpolizei scharf.

In einer nicht genehmigten Demonstration war in den Donnerstagnachtstunden gegen die Abschiebung protestiert worden; 160 Personen, darunter auch Politiker der NEOS, SPÖ und der Grünen, hatten nach Polizeiangaben in Wien-Simmering dagegen u.a. mit einer Sitzblockade und Blockaden mobil gemacht. Das Bild, "wie ein kleines Kind mit Wollhauberl von der maskierten WEGA und scharfen Hunden mit einem Polizei-Bus abgeschoben wurde, geht mir nicht mehr aus dem Sinn", schrieb der geschäftsführende Direktor der Caritas Wien, Klaus Schwertner, auf Facebook zu entsprechenden Augenzeugenberichten. Er äußerte Unverständnis darüber, dass Politiker in Kindern, die in Österreich geboren sind und hier seit vielen Jahren ihr Zuhause hätten, eine Gefahr darstellen sollen. "Es ist nur noch unmenschlich, empathielos, eine Missachtung von Kinderrechten", so Schwertner.

Die Geringschätzung des Kindeswohl im aktuellen Fall kritisierte auch die Katholische Jungschar. Bundesgeschäftsführerin Sigrid Kickingereder verwies auf eine Aussendung des "Netzwerks Kinderrechte", dem die Jungschar angehört. Darin heißt es, aufgrund der Verfassung hätte bei den aktuellen Abschiebungen anders entschieden werden können, ja müssen, denn im Grundgesetz sei seit zehn Jahren verankert, dass das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist. Nach Überzeugung des Bündnisses von insgesamt 46 Organisationen zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Österreich hätte humanitäres Bleiberechts für die nun außer Landes Gebrachten geprüft werden müssen.

Ähnlich argumentierte die Bundesjugendvertretung, in der neben der Katholischen Jungschar auch die Katholische Jugend Mitglied ist: Gerade in der Corona-Pandemie sei es "mehr als beschämend und menschenunwürdig", dass "in Österreich geborene Kinder und ihre Familien nach mehr als zehn Jahren aus ihrem Leben gerissen werden anstatt Möglichkeiten, wie humanitäres Bleiberecht, in Betracht zu ziehen", hieß es in einer Aussendung am Donnerstag.

Theologe Pock: "Abschreckungspolitik"

Betroffenheit äußerten auch Vertreter der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien: Für deren Dekan, den Pastoraltheologen Prof. Johann Pock, reiht sich die aktuelle Abschiebung in eine Praxis der Regierung ein, verschärfte Gesetze auf den Weg zu bringen - und dann darauf zu verweisen, "dass man ja nicht anders handeln könnte. Man vollzieht ja nur das Recht." Betrieben werde eine "Abschreckungspolitik", im Zuge derer bewusst Menschen "geopfert" würden, so Pock gegenüber Kathpress: jene in den Flüchtlingslagern, die unter unmenschlichen Bedingungen vegetieren müssten, und jene, die nochmals entwurzelt würden. "Und das Ganze von einer Partei, die sich auf christliche Sozialethik bezieht, auf christliche Wurzeln", so der Theologe in Richtung ÖVP.

Pocks Kollegin Regina Polak, zugleich OSZE-Sonderbeauftragte im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, erinnerte an den internationalen Holocaust-Gedenktag am Mittwoch, an dem das österreichische Parlament auch vor gefährlichen Entwicklungen in Gesellschaft und Politik warnen wollte. Kurz darauf seien gut integrierte Familien mit Kindern abgeschoben worden, unter massivem Polizeiaufgebot, mit Hundegebell. "Wie geht das zusammen?", fragte Polak. Sie sehe gefährliche Entwicklungen, warnte die Theologin vor einer "schrittweisen Gewöhnung und Abstumpfung angesichts einer Politik der Härte, die sich gegen die Verletzbarsten richtet, aber letztlich den sozialen Zusammenhalt bedroht und allen schadet".

Erich Hohl, Integrationsbeauftragter der Katholischen Kirche Steiermark, räumte zur Abschiebung der 12-jährigen Tina nach Georgien und zweier weiterer Schülerinnen ein, dass deren Eltern keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis gehabt hätten. Aber "Humanität bleibt auf der Strecke", wenn "gut integrierte Menschen aus Österreich abgeschoben und Familien auseinandergerissen werden". Für Hohl liegt hier ein Musterbeispiel für das Anwenden des humanitären Bleiberechtes vor, "das derzeit zu einem toten Recht zu verkommen droht".

Ähnlich der Katholische Familienverband Wien, der am Donnerstag neben humanitärem Bleiberecht für gut integrierte Familien auch kürzere Asylverfahren forderte. "Eine Familie, die um 3 Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen und von der Polizei zur Abschiebung abgeholt wird: diese Bilder lassen niemanden kalt", hieß es in einer Aussendung der Vorsitzenden Barbara Fruhwürth.

"Warum ist es mitten in einer globalen Pandemie notwendig, Kinder aus Österreich abzuschieben, die hier geboren wurden und nie woanders gelebt haben?", fragte auch der St. Pöltner Caritas-Generalsekretär Christoph Riedl auf seinem Facebook-Account.

Alois Reisenbichler, langjähriger Vertreter der "Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie" (ACUS), war bei der Abschiebeaktion protestierend selbst vor Ort und berichtete via Facebook, die Demonstration sei von der Polizei als eine "Gefährdung" aufgelöst worden; Beamte seien dabei nicht zimperlich vorgegangen, er selbst sei zu Boden gestoßen worden. Es könne einem nicht egal sein, wenn Flüchtlinge und sogar Kinder abgeschoben werden. "Da tut mir wirklich das Herz weh", so Reisenbichler.

Bischöfe in Sorge wegen Bleiberecht

In Kommentaren war am Donnerstag immer wieder von der Möglichkeit die Rede, in Härtefällen humanitäres Bleiberecht zuzugestehen. Die Österreichische Bischofskonferenz hatte noch zu Bestehen der ÖVP-FPÖ-Koalition dessen "großzügige Anwendung" vor allem für gut integrierte Familien gefordert. Zugleich plädierten die Bischöfe für eine verpflichtende Einbindung der Verantwortlichen von Gemeinden und Ländern bei Bleiberecht-Entscheidungen. Nötig sei ein "nüchterner und zugleich menschlicher Blick auf jedes einzelne Schicksal".

Auch Caritas-Verantwortliche aus ganz Österreich mit Caritas-Bischof Benno Elbs an der Spitze riefen die damalige türkisblaue Bundesregierung auf, das humanitäre Bleiberecht häufiger anzuwenden.

Der aktuelle Fall entwickelt sich zur Belastung der türkis-grünen Koalition: Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler erklärte am Donnerstag in Richtung Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), die Abschiebung gut integrierter Mädchen sei "unmenschlich und unverantwortlich". Er frage sich, "warum man sich für die Prüfung nicht mehr Zeit genommen hat". ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer verteidigte im Vorfeld die Abschiebungen mit Verweis auf die geltende Rechtslage. In Österreich geborenen Kindern den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern, lehnte er ab.