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Am 7. Juni wurde der Aufklärungsbericht zum Missbrauch in den Kinderheimen der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal und Wilhelmsdorf der Öffentlichkeit vorgestellt.
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Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal und ihre Diakonie haben die Opfer von Gewalt und Missbrauch in ihren Kinderheimen während der 1950er bis 1980er Jahre um Vergebung gebeten. Zwei unabhängige Aufklärer der Vorfälle – die ehemalige Amtsrichterin Brigitte Baums-Stammberger (Birresborn/Eifel) und der Marburger Erziehungswissenschaftler Prof. Benno Hafeneger – legten am 7. Juni in Korntal ihren über 400-seitigen Bericht vor. Er trägt die Überschrift „Uns wurde die Würde genommen“. Dazu wurden Interviews mit 105 ehemaligen Heimkindern ausgewertet. Von ihnen berichteten 93, dass sie körperliche Gewalt in den Heimen erleiden mussten. Zwei Drittel von ihnen sagten, dass dies „regelmäßig“ der Fall war. Einige gaben an, dass sie mehrmals wöchentlich oder sogar fast täglich geschlagen wurden. 85 erklärten, dass sie Opfer seelischer Gewalt wurden, etwa durch Demütigungen und Drohungen. 61 Interviewte waren nach eigenen Angaben von sexuellen Übergriffen betroffen. Diese Taten erstreckten sich zum Teil über viele Jahre. Nicht bestätigt werden konnten laut dem Bericht die Vorwürfe organisierter sexueller Gewalt. Allerdings hätten es mangelnde Sensibilität und unzureichende Kontrolle pädophilen Tätern erlaubt, ungehindert ihre Wünsche auszuleben. Die sexuellen Übergriffe seien häufig von Mitarbeitern ausgegangen, aber auch von älteren Heimkindern. Die Befragten nannten 81 Täter unter den Mitarbeitern, die mindestens gegenüber einem der Betroffenen gewalttätig gewesen seien. Darunter seien acht „Intensivtäter“, die mindestens an zehn Befragten Gewalt verübt hätten.

Vorsteher Andersen: Die Brüdergemeinde steht zu ihrer Verantwortung

Der weltliche Vorsteher der Brüdergemeinde, Klaus Andersen, sagte zu den Ergebnissen, in deren Einrichtungen sei Kindern schweres Unrecht angetan und Leid zugefügt worden: „Das erschüttert uns tief und macht uns sehr betroffen.“ Die Brüdergemeinde stehe zu ihrer Verantwortung: „Wir bitten um Vergebung für alle Verletzungen.“ Man sei sich bewusst, „dass unsere finanziellen Anerkennungsleistungen nicht wieder gutmachenkönnen, was geschehen ist, und dass die Erlebnisse immer ein Teil der Lebensgeschichte der Betroffenen sein werden“. Die Opfer haben von der Diakonie der Brüdergemeinde auf Antrag in der Regel jeweils 5.000 Euro erhalten, in Einzelfällen 20.000 Euro. Ehemalige betroffene Heimkinder haben noch bis zum 30. Juni 2020 die Möglichkeit, sich für Interviews an Richterin a. D. Baums-Stammberger zu wenden und Anträge auf Anerkennungsleistungen zu stellen.

Opfergruppen: Bis zu 300 betroffene Heimkinder

Laut Opfergruppen haben bis zu 300 Heimkinder in den 1950er bis 1980er Jahren Gewalt und sexuellen Missbrauch in Einrichtungen der Brüdergemeinde Korntal erlebt. Ein Betroffener, Detlev Zander, hatte die Fälle 2014 öffentlich gemacht. Er sprach jetzt von Genugtuung und Erleichterung. Der Bericht mache deutlich: „Wir haben nicht gelogen.“ Die 1819 gegründete Brüdergemeinde ist eine mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vertraglich verbundene selbstständige Personalgemeinde. Zu ihr gehören diakonische Einrichtungen, darunter Kindergärten, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sowie ein Altenzentrum.