page-header
In vielen Pfarrgemeinden bekommen Flüchtlinge Hilfe von Freiwilligen.
Anzeige

Die Haltung von Politik und Öffentlichkeit zu den Flüchtlingen hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) „kritisch unter die Lupe genommen“. Wie ÖRKÖ-Vorsitzender Thomas Hennefeld im Anschluss an die jüngste Vollversammlung in Wien hinwies, sei es Aufgabe der Kirchen, „in gesellschaftspolitischen Fragen Flagge zu zeigen“, teilte der Ökumenische Rat am Freitag, 13. Oktober, mit. Matthias Drexel von der Caritas und Christoph Riedl von der Diakonie berichteten bei der Zusammenkunft von Vertretern der 16 Mitgliedskirchen über Erfahrungen ihrer Organisationen in der täglichen Flüchtlingsarbeit und machten auf Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik aufmerksam.

Trotz der öffentlichen Infragestellung des zivilgesellschaftlichen Einsatzes und der latenten „Abwehrhaltung“ gegen Flüchtlinge sei das Engagement der Pfarrgemeinden aller Konfessionen in der Flüchtlingsarbeit nach wie vor ungebrochen, hieß es in der ÖRKÖ-Aussendung. Drexel verwies darauf, dass von den rund 600 Pfarrgemeinden der Erzdiözese Wien 150 im Flüchtlingsbereich aktiv sind. In den Pfarren bestünden Soziale Netzwerke, die den Flüchtlingen in vielfacher Weise beistehen. Die Hilfe für Flüchtlinge schweiße die Menschen aber auch zusammen, es komme zu einer Stärkung des Gemeinschaftsgefühls, so der Caritas-Fachmann. Überhaupt sei festzustellen, dass mehr Menschen denn je „auf hohem Niveau“ als Freiwillige tätig sind.

Bei der ÖRKÖ-Vollversammlung wurde festgehalten, dass sich für die Kirchen auch die Verpflichtung ergebe, die vielfachen positiven Erfahrungen in den Pfarrgemeinden aller Konfessionen auch öffentlich zu machen und sie in den politischen Diskurs einzubringen. Das könne ein wichtiger Kontrapunkt zum proklamierten „Ende der Willkommenskultur“ sein.

Diakonie-Experte Riedl erinnerte daran, dass die NGOs im Mai 2015 – also bereits vor der vielzitierten „Flüchtlingswelle“ – den zuständigen Politikern einen konkreten Sechs-Punkte-Plan zum bestmöglichen Umgang mit Flüchtlingen vorgelegt hatten; leider sei keiner dieser Punkte verwirklicht worden, es habe auch keinen Dialog zwischen der Politik und den NGOs gegeben. Ein umfassendes Konzept stehe seit langem aus, bemängelte Riedl. Nach der Ungarn-Krise 1956 habe man aus der einstigen Kadettenschule Traiskirchen „provisorisch“ ein Flüchtlingslager gemacht – und bei diesem Provisorium sei es geblieben.

Als Schwachstellen nannten Drexel und Riedl insbesondere das seit 2004 bestehende De-facto-Arbeitsverbot für Flüchtlinge, den Verzicht auf eine Reform des Grundversorgungssystems, aber auch die Tatsache, dass der „Betreuungs-Tagsatz“ unterschiedslos 21 Euro pro Tag und Person beträgt – egal, ob es sich um die Bereitstellung eines Bettes in einem Gasthauszimmer oder um professionelle Betreuung handle. Im Herbst 2015 hätten sich auch viele Experten des Eindrucks nicht erwehren können, dass es sich bei den Unterbringungsproblemen um eine „inszenierte Krise“ handelte, wie Christoph Riedl anmerkte: so seien Tausende vorhandene Plätze in den Kasernen nicht herangezogen worden.

In der Diskussion wurde die Frage gestellt, warum nicht auch Österreich das von der waldensischen Kirche in Italien und der Gemeinschaft Sant’Egidio entwickelte Konzept der „humanitären Korridore“ anwendet, das es besonders bedrängten und benachteiligten Flüchtlingen ermöglicht, auf legalem Weg in ein Aufnahmeland zu kommen. Auch wurde auf einen Nebeneffekt der „Abwehrhaltung“ gegen Flüchtlinge aufmerksam gemacht, der die Kirchen empfindlich trifft: Immer wieder komme es vor, dass bei internationalen kirchlichen Konferenzen in Österreich oder in Deutschland eingeladene Teilnehmer aus afrikanischen Ländern unter verschiedenen Vorwänden keine Visa erhalten.

„Mehr ökumenisches Miteinander“

Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker berichtete bei der ÖRKÖ-Vollversammlung über die österreichischen Initiativen in Sachen „500 Jahre Reformation“. Neben dem Reformationsfest auf dem Wiener Rathausplatz am 30. September mit rund 18.000 Besuchern sei positiv festzuhalten, dass viele Impulse für mehr „ökumenisches Miteinander“ ausgegangen seien.

Für 2018 plant der ÖRKÖ einen Studientag über die „Ökumene der Märtyrer“ im Rahmen einer Vollversammlung. Dabei soll der Stellenwert des so aktuell gewordenen Märtyrer-Gedenkens in den verschiedenen kirchlichen Traditionen beleuchtet werden. Als weitere ökumenisch relevante Veranstaltungen im kommenden Jahr wurden bei der Vollversammlung der Internationale Altkatholiken-Kongress zum Thema „Christen im Dialog für eine offene Gesellschaft“ (20. bis 23. September, Baden) und ein Meeting der Generalsekretäre der nationalen Kirchenräte Europas (24. bis 26. September, Wien) angekündigt.

Einstimmig wurde von der Vollversammlung dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit Beobachterstatus im ÖRKÖ zuerkannt. Ein entsprechender Antrag des Koordinierungsausschusses war im Vorjahrs eingebracht worden. Bereits seit vielen Jahren hatte es eine informelle Zusammenarbeit zwischen dem ÖRKÖ und dem Koordinierungsausschuss gegeben.